Leseproben

"Die Rheinpfalz" - Feuilleton, in der Reihe "Heimvorteil": Der perfekte Tag in der Pfalz, wie sieht der aus?  

von Wolfgang Stauch

Wenn ich an den perfekten Tag denke, denke ich vielleicht nicht zuallererst an die Pfalz und doch mal mehr an das zweitberühmteste Stück von Lou Reed: "Oh, such a perfect day, Tiere im Zoo füttern, Sangria im Park, ein Film noch und dann heim." 
Heim. Klar, wenn ich nach Contwig fahre, fahre ich heim.

Das Kino, in dem ich mit meinem großen Bruder ziemlich viele Bruce-Lee-Filme sah, gibt es seit 30 Jahren nicht mehr, und Tiere im Zoo, na ja, zur Not füttere ich die Ziegen meines Vaters, und mit etwas gutem Willen ließe sich das Gelände hinter meinem Elternhaus, bis hin zum Schwarzbach, als Park bezeichnen, schön ist es da jedenfalls, der Ziegenstall mit der Satelitenantenne auf dem Dach.

Aber dann tauchen auch schon die amerikanischen Düsenjäger in Formation auf über dem Hügel und lassen im Haus die Scheiben scheppern: Heimfahren ist wohl auch eine Reise in die Vergangenheit, ein bisschen Pause ist es, ich kann mehr arbeiten, während die Familie unsere Kinder bespielt und bestaunt. Und für mich ist es mehr Verharren denn Reisen, mehr Sitzen als Gehen. Die Bewegung ist überschaubar, aber dann geht's ja doch mal raus, vom Schreibtisch  zum Tanken. Und dann stehe ich da an der Tankstelle und kriege den Tankdeckel am alten Panda meiner Mutter nicht auf, während ein Mann an der anderen Zapfsäule von einem wiederum anderen Mann aufgefordert wird: "Mach dein Schwimmbad auf!"

Es sind die ersten wirklich heißen Tage des Jahres, die Forderung nach Abkühlung ist nicht unberechtigt, und der Angesprochene lächelt ein wenig, aber er hat den Satz schon richtig verstanden: Dein Schwimmbad. In Contwig gehört das öffentliche Schwimmbad dem Bademeister, ebenso, wie die Sporthalle dem Hausmeister gehört und die Kneipe der Chef-Bedienung, so bauen hier alle ihre kleinen Thrönchen - aber, aber: das ist gut so, was einem gehört, darum kümmert man sich wirklich.

Den schlauesten, souveränsten Leuten aus der Pfalz gehörte damals das Baugerüst, da standen sie, immer eine Rothhändle ohne Filter zwischen den Lippen, die niemals ausging, bis ihnen die Zähne schwarz wurden, die kein Geld und keine Zeit gehabt hatten für akademische Karrieren, sondern Maurer wurden, und die Sache beeindruckend im Griff hatten -  während ich nun verzweifelt versuche, mit dem Handy meine Mutter zu erreichen, um das Tankdeckelproblem zu lösen. Das jedoch führt lediglich dazu, dass die Tankwartin auf mich aufmerksam wird und mich freundlich, aber doch bestimmt, darauf hinweist, dass Telefonieren hier verboten sei, weil sich dadurch womöglich das Benzin entzünde, somit sei ich gerade auf dem besten Weg, die Tankstelle in die Luft zu jagen. Handy schnell  einstecken, uff, gerade noch mal gut gegangen!

Sporthallenhausmeisterkönige, Gerüsteminenzen, Kneipenprinzen, vermutlich sind es vorwiegend solche Figuren aus der Pfalz, die wieder in meinen Drehbüchern auftauchen. Wenn der schlaue Schrotthändlerkönig Gehring im Rostocker Polizeiruf hinter seinem Schrotthallentresen thront, soll er sich nur nicht einbilden, er sitze an der Ostsee, in Wirklichkeit sitzt er nämlich in der Pfalz, und wenn Polizeihauptmeister Krause demnächst Probleme mit dem Kickstarter seines Motorrads hat, steht er nicht in Brandenburg beim ölverschmierten Mechaniker im Hof, sondern in Contwig, er weiß es nur nicht, und vermutlich wird er es auch nie erfahren.

Und dann heim. Nachdem ich es dann doch geschafft habe, zu tanken, und wider Erwarten nicht eine Zapfsäule explodiert ist, setze ich  mal den Blinker links, wo es eigentlich geradeaus ginge, und fahre an alten Orten vorbei, an alten Freunden. Ich klingele nicht, die meisten leben ohnehin nicht mehr hier. Da hat Bernd gewohnt, da Jörg, da Rainer, und Michael hat jetzt in den Hang gebaut, direkt neben sein Elternhaus, na gut. An der alten Turnhalle vorbei, 25 Jahre habe ich hier Prellball gespielt, da ist bestimmt noch mein Schweiß auf dem Boden und mein Blut, und ein wenig Bedauern, ja, das auch, dass für unsere Kinder ein solcher Verein in Berlin nicht in der Nähe zu haben ist.

Ein perfekter Tag? Sieht eigentlich anders aus, und dennoch passiert an solchen Tagen einiges, vor allem Gutes, zumeist versöhne ich mich mit etwas, mit dem ich zuvor unversöhnt gewesen bin, mit Orten, Häusern, Menschen, die sich vielleicht gar nicht mit mir versöhnen wollen, aber sie haben nun keine andere Wahl. Vielleicht versöhne ich mich sogar ein bisschen mit mir selbst, mit dieser seltsamen Filmfigur von vor 20, 30 Jahren, oder, um Lou Reed noch eine Zeile aus "Perfect day" singen zu lassen: "I thougt, I was someone else, someone good."

Wir waren keine Stubenhocker, aber wir waren Dorfhocker, die weite Welt kannte uns nicht, und wir kannten die weite Welt nicht. Dafür kannten wir so gut wie alle Turnhallen in der Umgebung, das Sportfest in Battweiler, oder war es Rimschweiler, und zwei gastronomische Betriebe kannten wir besonders gut, in denen wir viel Zeit und Geld gelassen haben und letztlich doch die Pleite nicht abwenden konnten mit unserer Zecherei.

Womöglich ist das immer noch die Grundlage meines Schreibens, die wiederkehrenden Orte statt der Neuentdeckung, die überschaubare Welt, wo zwar nicht alle alles über alle wissen, aber viele vieles über viele, das Dorf, in dem alles am rechten Platz zu sein scheint, perfekt aufgestellt wie die Figuren eines Fernseh-Krimis.

Und vielleicht gibt es den perfekten Tag in der Pfalz gar nicht in der Pfalz, sondern nur in der Erinnerung, zusammengesetzt aus ganz vielen nicht ganz so perfekten Tagen, und Lou Reed singt: "Such a perfect day, I'm glad I spent it with you". So ein perfekter Tag, ich bin, letztlich, doch froh, ihn mit dir verbracht zu haben, gute alte Pfalz.

 

 

 Szene aus dem Drehbuch "Polizeiruf 110 - ... und raus bist du!"

(Das notwendige Kleingedruckte vorab: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das Drehbuch "Polizeiruf 110 ... und raus bist du!" urheberrechtlich geschützt ist und sämtliche Verwertungs- und Nutzungsrechte bei der Sendeanstalt Norddeutscher Rundfunk liegen. Das Drehbuch darf ausschließlich als Leseprobe zu privaten und persönlichen Zwecken verwendet werden. Jede weitere Vervielfältigung, Verbreitung, Verfilmung, öffentliche Zugänglichmachung, Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger, Bearbeitung oder sonstige Verwendung des Drehbuchs zu privaten oder kommerziellen Zwecken ist nicht gestattet und wird sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich verfolgt.)

 

EXT. MEER AUTO BUKOW - NIGHT
Abenddämmerung. Letzte Sonnenstrahlen glitzern auf den Wellen, am Horizont ziehen im Zeitlupentempo Schiffe vorbei.
Bukow und König sitzen im Volvo, der mit Ausblick am Meer steht, beide vordere Wagentüren offen.
Bukow beugt sich etwas über sie - sie drückt sich leicht verunsichert in den Sitz - er öffnet das Handschuhfach ...
ALEXANDER BUKOW
Hab am anderen bisschen gespart, damit’s für den hier reicht.
... und nimmt eine gute Flasche Rotwein raus - sie kann aus ihrer Position die Flasche noch nicht erkennen.
KATRIN KÖNIG
Champagner?
ALEXANDER BUKOW
Nee, aber auch kein Dosenbier.
Sie sieht den Rotwein.
KATRIN KÖNIG
Luxusgesöff für 2,50.
Mit viel Kraft und dem Finger drückt er den Korken rein.
ALEXANDER BUKOW
Scheiß auf die Etikette, wenn jeder Tag im Dienst dein letzter sein kann.
KATRIN KÖNIG
Jetzt geht das wieder los!
ALEXANDER BUKOW
Jetzt raus damit!
König denkt nach, vielleicht weiß sie sogar, dass sie sich jetzt mal äußern muss. Und vermutlich denkt sie: Klar habe ich Beweise gegen ihn, klar müsste ich die Röder vorlegen, klar wäre das korrekt - aber ist das auch richtig?
KATRIN KÖNIG
Ich geh zurück zum LKA nach Raupe.
Bukow schaut sie an - das heißt jetzt wohl, sie leitet die belastenden Beweise gegen ihn nicht weiter. Oder?
ALEXANDER BUKOW
(ein Hauch zu gefühlig)
Hab gerne mit Ihnen gearbeitet.
Sie schaut ihn an - das war ja für seine Verhältnisse fast eine Liebeserklärung. Pause ... dann ein kleines:
KATRIN KÖNIG
Ich auch.
Das war auch für ihre Verhältnisse fast eine Liebeserklärung, die sie sicher nicht jedem machen würde. Und das gefällt Bukow natürlich, kurze Pause, dann verschmitzt:
ALEXANDER BUKOW
Dachte, Sie merken, wenn man lügt.
KATRIN KÖNIG
Bukow!
Sie ist beleidigt - aber rechnet es ihm wohl im nächsten Augenblick positiv an, dass er echt bleibt, selbst, wenn alles für ihn auf dem Spiel steht. Aus dem beleidigten Blick wird ein Lachen - was er ihr wiederum positiv anrechnet. Sie passen schon gut zueinander - das scheinen auch sie beide in diesem Moment zu spüren.
KATRIN KÖNIG (CONT’D)
Das war nicht gelogen, ne?
Bukow lässt es offen.
Ein nicht ganz ernstes, aber auch nicht ganz unernstes Theoretisieren über den Fall beginnt:
ALEXANDER BUKOW
Lügen die? Die Schüttes. So ... Mimik, konnten Sie da was ... ?
KATRIN KÖNIG
(unterbricht)
Die standen unter Drogen, das irritiert die Gesichtsmuskulatur.
Bukow wendet ganz langsam den Blick zu ihr.
ALEXANDER BUKOW
Aha.
Wendet den Blick wieder nach vorne.
ALEXANDER BUKOW (CONT’D)
Warum wollten die uns nicht ins Haus lassen? Wieso war das plötzlich verkauft?
KATRIN KÖNIG
Sie bauen Hanf an.
ALEXANDER BUKOW
Jetzt, wo Sie’s sagen. (kurze Pause) Gehring lügt. Räumt nicht auf, macht keine Kasse, macht Prand betrunken, weil er weiß, dass der dann plappert. Prand plappert - vom Notizbuch, den 50000, die er damit erpressen will - geht heim, Gehring hinter ihm her, will das Notizbuch, Prand rückt es nicht raus, Streit, Prand tot. Hat das Buch nicht dabei. Gehring in Prands Wohnung. Findet was oder nicht. Hm?
KATRIN KÖNIG
Und das Motiv?
ALEXANDER BUKOW
Seine Augen.
König guckt ihn verwundert an.
ALEXANDER BUKOW (CONT’D)
Die leuchten schon, wenn er jemanden um fünf Euro bescheißen kann - bei 50000 glühen sie!
KATRIN KÖNIG
Dann hätten wir’s ja.
ALEXANDER BUKOW
Auf Ihr Wohl! (trinkt aus der Flasche) Das war’s. Der war’s!
Er gibt ihr die Flasche, sie trinkt auch einen Schluck.
KATRIN KÖNIG
Müssen wir ihn nur noch verhaften.
ALEXANDER BUKOW
Gerade so gemütlich hier.
KATRIN KÖNIG
Wir sollten mit Nathalie Schieke sprechen. Über Gehring, die Schüttes.
Sie schauen beide geradeaus, sich nicht an. Er zuckt mit den Schultern ...
ALEXANDER BUKOW
Später.
... trinkt noch einen Schluck, hält ihm die Flasche hin.
KATRIN KÖNIG
Bisschen wie Autokino.
ALEXANDER BUKOW
Ja. (kurze Pause) Ohne Kino.
KATRIN KÖNIG
Aber mit Panorama, schööön!
Er trinkt einen Schluck ...
ALEXANDER BUKOW
Die Schiffe, wie sie so über’s Meer fahren ...
... gibt ihr die Flasche.
KATRIN KÖNIG
So ... gleichmäßig, irgendwie.
Sie schauen sich immer noch nicht an - und grinsen jetzt beide im gleichen Augenblick.
Sie gibt ihm, ohne zu trinken, die Flasche zurück.
KATRIN KÖNIG (CONT’D)
Ich ... jaha ... geh jetzt mal besser. Bevor wir hier noch Brüderschaft trinken. (kurze Pause) Die Arbeit ruft.
ALEXANDER BUKOW
Wenn wir einmal auf dem Sterbebett liegen, wird keiner von uns sagen: Herrgott, hätte ich bloß mehr gearbeitet!
Sie grinst - und steigt dennoch aus. Bukow hält kurz die Hand hoch zum Abschied.
Sie ist weg. Aber jetzt streckt sie die Nase noch mal rein.
KATRIN KÖNIG
Ich war übrigens der Rotwein, damals.
Wieder weg.
Bukow trinkt einen langen Schluck Wein und genießt ihn.

 

 

Verhörszene aus "Unter Verdacht - Brubeck"

(Das notwendige Kleingedruckte vorab: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das Drehbuch "Unter Verdacht - Brubeck" urheberrechtlich geschützt ist und sämtliche Verwertungs- und Nutzungsrechte bei der Sendeanstalt Zweites Deutsches Fernsehen liegen. Das Drehbuch darf ausschließlich als Leseprobe zu privaten und persönlichen Zwecken verwendet werden. Jede weitere Vervielfältigung, Verbreitung, Verfilmung, öffentliche Zugänglichmachung, Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger, Bearbeitung oder sonstige Verwendung des Drehbuchs zu privaten oder kommerziellen Zwecken ist nicht gestattet und wird sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich verfolgt.)

 

INT. ZELLE - DAY
Gunther Brubeck sitzt auf der Pritsche in der Zelle, er hat eine Schachtel Mercedes in der Hand, er wirkt verunsichert.
PROHACEK (O.S.)
Eigentlich müssten Sie noch mehr Kippen gefunden haben, am Unfallort, Herr Rolluck meint, er hätte da fast eine ganze Packung geraucht in zwei Stunden.
Brubeck schaut sie an, sichtlich beeindruckt.
Prohaceks Auftritt ist leise, unverstellt. Sie will Brubeck keine Falle stellen, ihn nicht überreden, sondern durch Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit überzeugen.
BRUBECK
Das wusste ich nicht.
Dann gibt sie ihm das nächste “Mitbringsel”, eine Medikamentenschachtel, ein Präparat namens Aktivol.
PROHACEK
Kennen Sie das? Ich glaube, Sie kennen das. Das sind die Medikamente, die Ihr Hausarzt ihrer Frau verschrieben hat. Aktivol. Amphetamine.
BRUBECK
Sie hatte Stress, im Büro.
PROHACEK
Ihr Arzt sagt, er hat ihr damals geraten, in ihrem Zustand so eine weite Fahrt gar nicht zu machen.
BRUBECK
Das ist mir neu.
PROHACEK
Ihre Frau hat aber unbedingt fahren wollen. Und sie hat gesagt, dann nimmt sie vor der Fahrt einfach so eine Tablette. Ihr Arzt hat dringend abgeraten. Mit Aktivol, sagt er, überschätzt man sich schnell, und ohne wird man sehr schnell müde. Aktivol, Herr Brubeck, wirkt bis zu acht Stunden. Der Unfall ist achteinhalb Stunden nach der Abfahrt an der Ostsee passiert.
Das zeigt erneut Wirkung bei Brubeck ...
BRUBECK
Sie wollen mir klar machen, dass Brunner unschuldig ist. Aber das weiß ich schon. (kurze Pause) Frau Prohacek, Sie sagten, dass auch Sie Ihren Sohn bei einem Unfall verloren haben.
PROHACEK
Habe ich nicht gesagt, aber Sie haben es offensichtlich in Erfahrung gebracht.
BRUBECK
Ich weiß, was Sie mir unterstellen, aber wollten Sie diejenigen gleich umbringen, die schuld an diesem Unfall waren?
PROHACEK
Doch, ja, das hab ich tun wollen.
BRUBECK
Und wer war daran schuld?
Eva braucht einen Moment, um zu antworten.
PROHACEK
Ich. (kurze Pause) Interessiert Sie das überhaupt?
BRUBECK
Was?
PROHACEK
Schuld. Worum geht es Ihnen?
Sie gibt ihm, zuletzt, noch einen Bogen Papier.
PROHACEK (CONT’D)
Das ist die Buchungsbestätigung des Hauses, in dem Ihre Frau und Ihr Sohn übernachtet haben, Strandhotel Carmen, Bansin.
Brubeck reagiert zum ersten Mal leicht genervt.
BRUBECK
Das sehe ich.
PROHACEK
Dann sehen Sie sicher auch, dass da ein Doppelzimmer, ein Einzelzimmer und drei Mal Frühstück steht. Das hat Ihre Frau alles bezahlt. Für Ihren Sohn, sich selbst und einen Mann namens Henning Krull, ein Kollege Ihrer Frau, ihr Liebhaber.
BRUBECK
Unsinn!
PROHACEK
Nein, das ist kein Unsinn, und das wissen Sie. Fühlen Sie sich verantwortlich dafür? Für den Liebhaber, die weite Fahrt - für den Unfall?
BRUBECK
Warum sollte ich?
PROHACEK
Ihre Ehe ist keine mehr gewesen, oder? Wie oft haben Sie Ihren Sohn gesehen? Ich meine, er verbringt seine Ferien mit dem Liebhaber Ihrer Frau. Geht es Ihnen darum?
BRUBECK
Worum?
PROHACEK
Romantik.
BRUBECK
(sehr erstaunt)
Worum?
PROHACEK
Ihnen ist es völlig egal, ob Brunner schuldig ist, oder? Geht es um Gerechtigkeit? Nein. Worum geht es Gunther Brubeck?
Brubeck schaut sie an. Schweigt.
PROHACEK (CONT’D)
Um Gunther Brubeck. Der zeigen will, was für ein Liebender er gewesen ist, was für ein Vater, was für ein Trauernder - was für ein Rächer
Brubeck schaut sie an. Schweigt.
PROHACEK (CONT’D)
Wem wollen Sie das zeigen, mir? Ich verachte Sie dafür, aber ich bin Ihnen vermutlich egal. Ihrer Familie, Ihrer Frau, Ihrem Sohn, weil Sie im Leben nicht mehr dazu gekommen sind? Ihre Familie schläft, und Sie, Herr Brubeck, wecken Sie nicht mehr auf. Wer bleibt? Gunther Brubeck bleibt.
Sie öffnet die Zellentür. Sie muss ihn gehen lassen.
PROHACEK (CONT’D)
Bitte. Wir können Sie nicht länger hier behalten.
Sie können gehen, nach Hause gehen und sich selbst bewundern.  Wie lange hält das an, was meinen Sie? Wir lange können Sie sich etwas vormachen, hm?
BRUBECK
Ich habe nichts mehr zu sagen, Frau Prohacek.
(Tatsächlich hört man bis zum Ende der Geschichte kein Wort mehr von ihm.)
Brubeck geht raus. Bleibt in der Tür kurz stehen. Die beiden schauen sich nicht an.
PROHACEK
Noch ist Evelyn Dohr am Leben. Noch können wir ihr Leben retten. Noch können Sie zeigen, dass Sie ein Mensch sind.
Brubeck geht endgültig.

 

 

Verhörszene aus "Unter Verdacht - Laufen und Schießen"

(Das notwendige Kleingedruckte vorab: Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das Drehbuch "Unter Verdacht - Laufen und Schießen" urheberrechtlich geschützt ist und sämtliche Verwertungs- und Nutzungsrechte bei der Sendeanstalt Zweites Deutsches Fernsehen liegen. Das Drehbuch darf ausschließlich als Leseprobe zu privaten und persönlichen Zwecken verwendet werden. Jede weitere Vervielfältigung, Verbreitung, Verfilmung, öffentliche Zugänglichmachung, Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger, Bearbeitung oder sonstige Verwendung des Drehbuchs zu privaten oder kommerziellen Zwecken ist nicht gestattet und wird sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich verfolgt.)

 

INT. PRÄSIDIUM VERHÖRRAUM - DAY
Eva und Langner treten in den Verhörraum ein, alle setzen sich, Langner legt das Aufnahmegerät vor sich auf den Tisch, geht noch mal näher ran, als würde er es kontrollieren ...
LANGNER
Läuft. (ins Gerät) Donnerstag, 19. November, anwesend Kriminaloberrätin Dr. Eva Prohacek, Kriminalhauptkommissar André Langner, zur Vernehmung geladen ...
DR. LUDWIG STEINER
(brüskiert)
Vernehmung?!
Langner nickt sehr ernst.
LANGNER
... Ministerialdirigent Dr. Ludwig Steiner.
EVA PROHACEK
Nun haben Sie sich ja ein paar Tage Zeit gelassen, um unserer freundlichen Einladung zu folgen, das verstehe ich, Sie sind schließlich ein vielbeschäftigter Mann.
DR. LUDWIG STEINER
(etwas ungeduldig)
Eben. Also?
EVA PROHACEK
Also ... wir haben eine ernstzunehmende Aussage, Herr Steiner ...
LANGNER
... und die sagt aus, Sie hätten nun doch mit der Polizistin Steffi Schober gesprochen.
Keine Regung von Steiner, nun ist er plötzlich ganz ruhig.
LANGNER (CONT’D)
Das ist die Frau, die im Dienst ums Leben gekommen ist, falls Sie das vergessen haben.
EVA PROHACEK
Da gibt es nun also den Verdacht, sie hätte Ihnen von einer gewissen Dopingproblematik in der Landespolizeisportschule Oberwiesberg berichtet. Was haben Sie denn unternommen, Herr Steiner, nachdem Ihnen das berichtet worden ist?
Steiner bleibt weiter ruhig und leugnet:
DR. LUDWIG STEINER
Diese Frau hat mir gar nichts berichtet, demzufolge habe ich gar nichts unternommen.
EVA PROHACEK
Aber es gibt die Aussage.
DR. LUDWIG STEINER
Dann steht jetzt eben Aussage gegen Aussage, und?
EVA PROHACEK
Herr Steiner. Es geht schon lange nicht mehr nur um Doping. Es geht um Mord. Es hat eine tote Polizistin gegeben, nun gibt es auch noch einen toten Polizisten. Und wenn sich herausstellt, dass Sie etwas damit zu tun ...
Plötzlich geht die Tür auf, herein kommt Claus Reiter, guckt verblüfft wie einer, der übergangen worden ist, der von Eva über dieses Verhör nicht informiert wurde.
DR. CLAUS REITER
(aufgebracht)
Was ist denn jetzt das hier!
Steiner schaut Reiter an, durchaus angespannt, wie einen Retter in der Not.
Reiter hält kurz inne, schaut zu dem Aufnahmegerät.
DR. CLAUS REITER (CONT’D)
Ausschalten, ausschalten, sag ich!
Langner wirkt durchaus verschüchtert. Und drückt in der Tat den Knopf des Aufnahmegeräts.
DR. CLAUS REITER (CONT’D)
Ja, spinnt’s Ihr denn jetzt oder was, Eva, noch hab ich hier das Sagen, gell - und jetzt: RAUS!
Eva mit zaghafter Gegenwehr:
EVA PROHACEK
Das sind meine Ermittlungen, Claus!
DR. CLAUS REITER
So nicht, Eva - RAUS!
EVA PROHACEK
(empört)
Claus!
Reiter zeigt mit echauffiertem Blick und ausgestrecktem Arm zur Tür.
Langner schaut Eva an. Die nickt dann doch.
Dann verlassen die beiden den Raum.
Während sich Reiter setzt und ein Mal durchatmet, steht Steiner auf, er muss sich jetzt etwas bewegen.
DR. LUDWIG STEINER
Wir sind doch aus dem gleichen Holz geschnitzt, wir beide, du und ich.
DR. CLAUS REITER
Ludwig - nicht nur aus dem gleichen Holz, auch mit dem gleichen Messer!
Steiner bleibt stehen, mustert Reiter - was will der wirklich von ihm? Steiner hat eine Idee:
DR. LUDWIG STEINER
Bist du beleidigt?
DR. CLAUS REITER
(beleidigt)
Wegen was?
DR. LUDWIG STEINER
Dem Komitee?
DR. CLAUS REITER
Och, so kann man das nicht ...
Steiner wirkt zufrieden, offenbar hat er genau den Punkt getroffen, er unterbricht:
DR. LUDWIG STEINER
Claus. Willst du da mitmachen? Also das ist kein Problem, einen kompetenten Mann mehr kann man immer gebrauchen.
DR. CLAUS REITER
(vorsichtig)
Oberwiesberg ist ja das Prestigeobjekt der bayrischen Polizei, und die Alpinale, das ... wäre mir eine große Ehre - meinst du, das geht noch?
Steiner nickt zufrieden.
DR. LUDWIG STEINER
Das geht noch.
Eine gewisse Zufriedenheit, die Steiner registriert, macht sich nun auch auf Reiters Gesicht breit.
DR. CLAUS REITER
Ich kann dir helfen, Ludwig - aber wir müssen die Sache mit dem Mord vom Tisch kriegen, also hast jetzt mit der jungen Frau gesprochen oder nicht?
Steiner überlegt. Und kommt dann zum Schluss, dass es in seiner Situation wirklich günstiger ist, sich Reiter anzuvertrauen.
DR. LUDWIG STEINER
Hab ich, Claus. Und sie hat mir gesagt, dass da draußen in Oberwiesberg was faul ist.
Reiter nickt zufrieden.
DR. LUDWIG STEINER (CONT’D)
Es geht doch nicht darum, uns einen Vorteil zu verschaffen, es geht darum, dass wir keinen Nachteil haben, um Chancengleichheit geht es, um sonst nix! Die Chinesen zum Beispiel - glaubt da einer ernsthaft, dass es im Chinesenland auch nur eine unangekündigte Trainingskontrolle gibt?!
DR. CLAUS REITER
Versteh ich, versteh ich gut - und dann hat sie dich erpressen wollen, die Steffi, damit sie wieder in den Kader rein darf.
Steiner schüttelt den Kopf:
DR. LUDWIG STEINER
Sie wollte, dass ich in Oberwiesberg mit dem Eisenbesen kehren. Razzien und solche Sachen.
DR. CLAUS REITER
(verständnisvoll)
Ja, das geht ja gar nicht, das hätt’ die sich doch denken können, da hat sie dich ja in eine ganz unangenehme Situation gebracht - und was hast da gemacht?
DR. LUDWIG STEINER
Ich hab mich halt an denjenigen gewandt, der den ganzen Bereich dort unter sich hat.
DR. CLAUS REITER
Aha. Und den ganzen Bereich unter sich hat nicht zufällig der Dussner Stefan?
Steiner zögert einen Moment.
DR. LUDWIG STEINER
Er vertritt unsere Interessen perfekt, wenn man einem vertrauen kann, dann ihm - wir sagen auch jedem in Oberwiesberg, wer eine Agentur braucht, geht zu dem Stefan, der holt das Beste aus euch raus.
DR. CLAUS REITER
(lacht ein bisschen)
Der holt aus euch raus, was gar nicht in euch drinsteckt!
Steiner lacht kurz mit.
DR. CLAUS REITER (CONT’D)
Und was genau hat der Stefan unternommen?
DR. LUDWIG STEINER
Das weiß ich nicht.
DR. CLAUS REITER
Ja, Ludwig - oder hast du’s vielleicht gar nicht so genau wissen wollen?
Steiner schaut ihn an und hat nun offenbar plötzlich seine Zweifel: Ist das hier jetzt wirklich ein informelles Gespräch?
Plötzlich schaut Reiter auf das Aufnahmegerät, tut höchst erstaunt:
DR. CLAUS REITER (CONT’D)
Der Herr Langner, nix heißen kann man ihn - jetzt hat er das Gerät gar nicht ausgeschaltet, sondern eingeschaltet!
Er schaut zu Steiner, der entsetzt zu ihm schaut.
DR. CLAUS REITER (CONT’D)
Ja, wenn wir das schon mal auf Band haben, dann spielen wir das doch einfach gleich mal dem Staatsanwalt vor.
DR. LUDWIG STEINER
Das machst du nicht, Claus!
Claus Reiter nimmt triumphal grinsend das Aufnahmegerät ...
DR. CLAUS REITER
Und wo ja jetzt vielleicht das eine oder andere Platzerl im Komitee frei wird, vielleicht ist da ja wirklich noch ein Platzerl für mich, habe die Ehre, Ludwig.
... hält es, in Richtung des venezianischen Spiegels kurz stolz hoch: Na, wie hab ich das gemacht! ... und verlässt den Raum.
 

(Die Leseproben werden in unregelmäßigen Abständen ergänzt)