Tatort Konstanz: Côte d'Azur

Frank Fink und Andreas Lust kurz vor dem Zoff am Ufer: "Lass Energie ins Sonnengeflecht, ganz ruhig, Brauner!"© SWR
Sender:SWR/ARD
Produktionsfirma:Maran Film, Uwe Franke, Sabine Tettenborn
Regie:Ed Herzog
Redakteur:Ulrich Hermann, Manfred Hattendorf
Darsteller:Eva Mattes, Sebastian Bezzel, Peter Schneider, Andreas Lust, Friederike Linke, Barnaby Metschurat, Markus Hering, Kai Malina, Frank Fink, Justine Hauer, Mandy Rudski
Erstausstrahlung:01.11.2015

Beschreibung

Aller guten Dinge sind sechs: Ed Herzog - der gerade mit seinen fast nur in Bayern gezeigten 'Winterkartoffelknödeln' und Sebastian Bezzel in der Hauptrolle eine beachtliche Platzierung in den Kinocharts eingenommen hat - dreht ab 4. November den Tatort 'Côte d'Azur'. Sein inzwischen sechster Film nach einem Buch von Wolfgang Stauch (u.a.: Die Gurkenkönigin, Die schöne Mona ist tot, Unter Verdacht: Brubeck).
Ein Weihnachtstatort im, ja, Weihnachtsmannmilieu, oder besser: Im gehobenen Nicht-Sesshaften-Milieu. Schicksale, Biografien, Menschen, die aufbrachen - um nie dort anzukommen, wo sie hinwollten. Oder, wie Klara Blum (Eva Mattes) über die mordverdächtige Franziska Schmitt (Friederike Linke) sagt: „Hätte sie nur ein einziges Mal die richtige Abbiegung genommen im Leben.“ Oder, um es mit weniger freundlichen Worten Perlmanns (Sebastian Bezzel) zu sagen: „Ich bin mir nicht sicher, ob nach einem Container Wein pro Person die Psychologie noch im Zentrum des Handelns steht. Da setzt sich einfach das Tier im Menschen durch.“
So oder so ... Vanessa (Mandy Rudski), wie schon ihre Mutter auf Hartz IV und alleinerziehend (Perlmann: „Da wird Familientradition noch groß geschrieben!“), wird mit einer Axt erschlagen. Und das Baby, das sie im Kinderwagen dabei hatte, wird nicht gleich entdeckt und erfriert fast: das Versagen Perlmanns; der in dieser Geschichte heftig mit Kollegin Blum aneinandergerät.
Unter Verdacht: Eine Gruppe von Nicht-Sesshaften, die sich aber, im Rahmen der Möglichkeiten, ganz gut selbst organisiert. Auf Weihnachtsmärkten Geld für Orang-Utans sammelt, schon im Container steht, wenn Altgemüse am Supermarkt entsorgt wird. Motiv? Perlmann: ”Wenn man sich die Statistiken anguckt ... wie läuft es denn bei solchen Leuten meistens? Die streiten sich, um irgendwas, um nichts, sind hackedicht - und dann knallt’s.“ Blum: „Du meinst, sowas passiert halt mal, in diesen Kreisen?“
Fünf Menschen, die sich in einer Halb-Ruine in Konstanz am Wasser eingerichtet haben und dort über den Winter kommen wollen - über der Tür ist ein Schild, einer hat 'Côte d'Azur' draufgeschrieben.
Gaststar, wenn man so will, der nahezu authentische Berliner Kleindarsteller Frank Fink (als Hermann „Bill“ Bohmann), Andreas Lust (dekoriert mit dem österreichischen Filmpreis, hier als Hagen Bötzow, beide auf dem Foto), Peter Schneider (mit der 'Summe meiner einzelnen Teile' für den Filmpreis nominiert), Friederike Linke (die bereits in 'Emma nach Mitternacht' zum Ensemble gehörte), Barnaby Metschurat als sehr von sich überzeugtem Arzt, Kai Malina als Lucky und Markus Hering als Jürgen Evers, die 'Hitmaschine von Konstanz'.
Hinter der Kamera steht, wie schon bei der 'schönen Mona', Andreas Schäfauer, Redaktion Uli Herrmann, SWR, Produktion Uwe Franke, Maran Film. Die Ausstrahlung ist für Dezember 2015 geplant. 


Rezensionen

Eine Mutter wird im Obdachlosen-Milieu erschlagen. Ungewöhnlich: Der Mörder schickt im Namen seines Opfers eine SMS an die Polizei, man möge sich um ihr Baby kümmern. Weil Kommissar Perlmann den Kleinen durch einen Fehler fast erfrieren lässt, kommt es zum Zoff mit Kollegin Blum. Das tut dem Krimi gut.
Worum geht's eigentlich? Vanessa Koch (Mandy Rudski), Hartz-IV-Empfängerin und allein erziehende Mutter, wird am Konstanzer Rheinufer mit einer Axt ermordet. Kurz zuvor hatte sie noch mit einer Gruppe von Obdachlosen in deren Baracke mit dem schrägen Namen „Côte d’Azur“ getrunken – wie so oft. Auf ihrem Heimweg mit Kinderwagen wird sie am frühen Morgen im Dunkeln von ihrem Mörder verfolgt. Nach der Tat nimmt der ihr Handy und schickt eine rätselhafte  SMS an die Polizei; „Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell.“
Das ist der Action-Kracher: Viel Action gibt es in diesem Krimi nicht. Die Mordszene gleich zu Beginn ist aber beklemmend. Die Mutter ist mit ihrem Baby genau da unterwegs, wo man es nachts allein nicht sein möchte. Als sie merkt, dass sie verfolgt wird, versteckt sie sich im Schilf, hält ihrem Säugling den Mund zu, lässt den Kinderwagen zurück und läuft noch einige Meter weiter, als plötzlich der Mörder im Weihnachtsmann-Kostüm vor ihr steht. Die Frau lässt mit weit aufgerissenen Augen einen gellenden Schrei und wird im nächsten Moment erschlagen. Gruselig.
Der härteste Kampf: Den führt Kommissar Kai Perlmann  (Sebastian Bezzel) mit sich selbst – und das führt zum Zoff mit seiner Kollegin Klara Blum (Eva Mattes).  Er interpretiert die SMS des Mörders falsch und nimmt an, Vanessa habe ihr Baby allein daheim zurückgelassen. Perlmann, der vor Blum am Tatort ist, leitet darum trotz winterlicher Kälte keine Suche nach dem Jungen ein, auch um keine Spuren zu vernichten.
Blum kritisiert ihn dafür scharf: Noch „ein Versuch einer Rechtfertigung“, droht sie ihm, „und wir kriegen ein Problem miteinander – wenn wir nicht eh schon eins haben.“ Als ihr Kollege sich später verzweifelt nach dem Zustand des Kindes erkundigt, das stark unterkühlt auf die Intensivstation kommt, quält sie ihn und sagt: „Es ist zu spät, um es wiedergutzumachen.“ Perlmann aber wacht, von Schuldgefühlen geplagt, am Krankenbett des Säuglings. Der Konflikt der Kommissare tut dem Team gut.
So viele Blutspritzer gibt´s: Nicht viele. Nach der Mordszene konzentriert sich dieser „Tatort“ auf die Ermittlungen der Kommissare im Obdachlosen-Milieu. Urs, Franzi, Hagen Lucky und Bill haben sich in der „Côte d’Azur“ zusammengetan. Als Weihnachtsmänner verkleidet,  sammeln sie auf Weihnachtsmärkten Geld – angeblich für bedrohte Urang-Utans. Sie sind alle aus verschiedenen Gründen abgerutscht. Franzi (Friederike Linke) etwa gaukelt ihren Eltern vor, sie studiere, ist aber drogensüchtig – und kümmert sich liebevoll um den älteren Bill (Frank Fink), der etwas verwirrt ist und einmal schon fast erfroren wäre.
Hagen Bötzow (Andreas Lust) ist für die Kommissare kein Unbekannter: Ihr einstiger Kollege war wegen Gewaltdelikten vom Dienst suspendiert worden und drangsaliert auch jetzt einen Kumpel. Die unterschiedlichen Schicksale werden auch mit feinem Wortwitz gezeichnet. Bill etwa sagt einmal: „Wenn‘s da oben nicht mehr richtig klappt, muss man in die Klapse – deswegen heißt die ja so.“ Rührend auch die Szene, wie Urs, Bill und Lucky frisch gewaschen im Krankenaus aufkreuzen, um das Baby zu sehen. Solche Szenen sind weit entfernt vom plumpen „Penner“-Klischee.
Da bekommt man Gänsehaut:  Es stellt sich heraus, dass das Mordopfer mit dem Kind total überfordert war. Vanessa Koch, die das Baby nicht mehr haben wollte oder konnte, lebte mit ihm in einer verwahrlosten Wohnung. Die Obdachlosen berichten, dass Vanessa ihr schreiendes Kind einmal so stark geschüttelt habe, dass es mit dem Kopf gegen die Wand schlug und heftig blutete. Als die Kommissare auf der Suche nach Angehörigen die Großmutter des Babys anrufen, zeigt diese sich total gefühlskalt: „Sind sie noch ganz dicht? Was soll ich mit 'nem Baby?“
Zynischste Figur: Der Kinderarzt, der den kleinen Alexander betreut und damit eigentlich Sympathieträger ist, schockiert zwischendrin immer wieder mit seinen scharfen Kommentaren. Einmal beugt er sich zum Baby und sagt ganz sanft: „Gut, dass Mama tot ist – noch so einen Schlag hättest Du nicht überlebt.“
Der Depp vom Dienst: Perlmann. Er kommt schon ziemlich trotzig und pampig rüber nach seinem Fehler, den er sich nicht verzeihen will. Das  ist aber viel besser als der blasse Perlmann – als der er in der Vergangenheit ja schon so oft zu sehen war.
Die skurrilste Szene: Eine Spur führt die Kommissare zu dem erfolgreichen Musikproduzenten Jürgen Evers (Markus Hering), der das Opfer besser kannte, als er zunächst zugeben will. Warum Evers sich in seiner Villa mit jungen „Mitarbeiterinnen“ umgibt, die alle wie uniformiert Miniröcke mit Kniestrümpfen und Plateau-High-Heels tragen, bleibt ein - nicht ganz unkomisches - Rätsel dieses Krimis.
Der ???-Moment: Eines irritiert bei diesem „Tatort“ leider: Es handelt sich um einen Weihnachts-Krimi, der anfangs in der Adventszeit spielt - mit einem geschmückten Kommissariat und einem mordenden Weihnachtsmann. Am Ende des Films ist Heilig Abend und alle wünschen sich frohe Weihnachten. In diese Stimmung kann man sich am 1. November nur schwer hineinversetzen. Das ist schade – denn ursprünglich war der Krimi im Advent eingeplant, wurde dann aber vorverlegt.
Härtegrad der Kommissare: Perlmann und Blum sind als ruhiges Team bekannt, das sich nur wenig aneinander reibt und auch schon mal weitgehend nebeneinander her agiert hat. Hier geraten sie aber richtig aneinander – und das ist gut. Blum zischt den trotzigen Kollegen ungewohnt scharf an: „Weißt du was? Du gehst mir echt auf den Sack!“
Wie geht‘s weiter mit dem Bodensee-Team: Während der Dreharbeiten zu diesem Film wurde vom SWR das Aus des Konstanz-Teams verkündet. Es ist allerdings ein langer Abschied: 2016 werden noch zwei weitere Fälle mit Blum und Perlmann zu sehen sein. Und danach? Eine SWR-Sprecherin sagte zu  FOCUS Online, es sei geplant, dass bis zum Ende dieses Jahres bekanntgegeben wird, welches neue Team in welcher Stadt folgen wird.
FOCUS-Online-Fazit: „Côte d’Azur“ von Regisseur Ed Herzog und Drehbuchautor Wolfgang Stauch ist ein sehenswerter und berührender Krimi, der am Rande der Gesellschaft spielt. Er ist einer der wirklich guten aus Konstanz. Wenn es so weitergeht, fällt der Abschied von dem Duo noch richtig schwer.

– Marina Antonioni, Focus.de


Im Konstanzer "Tatort" müssen Blum und Perlmann den Mord an einer jungen Obdachlosen klären - es kracht zwischen den Ermittlern. Die Nachlese.

Darum geht es:

Eine junge Mutter wird erschlagen am Konstanzer Seeufer gefunden. In einer SMS bittet sie noch darum, dass man sich um ihr Kind kümmere. Vanessa Koch, die Tote, verkehrte mit einer Gruppe Obdachloser, die alle als Täter infrage kommen. In diesem Milieu sind die Bodensee-Kommissare Klara Blum und Kai Perlmann mit einer ordentlichen Portion Tristesse zur Weihnachtszeit konfrontiert. Obendrein machen sie sich gegenseitig die Ermittlungen schwer.

Bezeichnender Dialog:

"Côte d'Azur" meint in diesem Tatort eine Baracke, in der Obdachlose am Konstanzer Seeufer hausen. Als Blum und Perlmann sich dort umsehen, treffen sie auf einen alten Bekannten: Hagen Bötzow war früher ebenfalls Kommissar, wurde dann aber wegen Gewaltdelikten vom Dienst suspendiert.

Bötzow: Na Frau Blum, wie läuft's denn so?

Perlmann: Der Ex-Kommissar Bötzow. Was machst du hier?

Bötzow: Sorry Kai, dass du dir wegen mir deinen schönen Kaschmirmantel dreckig gemacht hast.

Perlmann: Ja, ist wirklich schade, dass du uns verlassen musstest. Sag mal, wohnst du hier, du Arschloch?

Bötzow: Ich habe einen Scheißfehler gemacht, aber ich war wieder in der Spur. Trotzdem. Trotzdem haben sie mich rausgeschmissen. Naja. Und wenn der Aufzug schon mal nach unten fährt. Job weg, Frau weg, Bude weg. Okay, vielleicht auch umgekehrt.

Perlmann: Wieso? Ist doch schön hier.

Bützow: Ja, is' schön in der Côte d'Azur. Lässt es sich leben - bis der Aufzug wieder nach oben fährt.

Die beste Szene:

Hastig zerrt eine junge Frau einen Kinderwagen über einen Schotterweg, dreht sich ängstlich nach einem möglichen Verfolger um. Ringsum sind nur Felder, das hohe Gras schimmert silbern im Mondlicht. Die Musik wird bedrohlicher, die Frau fängt an zu rennen, rutscht mit dem Kinderwagen eine Böschung hinunter, rappelt sich wieder auf. Weiter. Einen kurzen Moment versteckt sie sich im Dickicht, lässt den Kinderwagen dann aber zurück und watet durch das hohe Gras. Aus dem Off sind verzerrte Geigen zu hören, bis die Frau beim Blick nach vorn einen lauten Schrei ausstößt. Ins Bild rückt der Weihnachtsmann - und schlägt zu. In diesem gelungenen Tatort-Auftakt lässt Alfred Hitchcock grüßen.

Top:

Endlich ein sehenswerter Konstanzer Tatort! Meist sind die Fälle von Blum und Perlmann so zäh, dass schon mal der Herbst und der Bodensee den besten Auftritt haben. In "Côte d'Azur" ist das anders: Zwischen Blum und Perlmann kracht es ordentlich, die Obdachlosen sind präzise gezeichnet und jeder auf seine Weise glaubwürdig. Wäre diese Episode früher gelaufen, hätte sich der SWR das mit dem Absetzen des Bodensee-Tatorts vielleicht nochmal überlegt.

Flop:

Vermutlich haben sich die Macher dieses Falles so über das gute Drehbuch gefreut, dass sie vergessen haben, wohldosiert mit der Skurrilität einzelner Figuren umzugehen. Der pseudozynische Kinderarzt Dr. Schwenkner oder der exzentrischer Produzent Jürgen Ewers sind so überzeichnet, dass sie an Karikaturen ihrer selbst erinnern.

Bester Auftritt:

Friederike Linke verkörpert als obdachlose Franzi innere Zerrissenheit und pure Verzweiflung. Auf der einen Seite kümmert sie sich liebevoll um den alten Bill, auf der anderen Seite kennt sie keine Skrupel, wenn es darum geht, Klara Blum zu beschimpfen. Als diese sie in einer Zelle auf kalten Entzug setzt, wird es richtig bitter: Linke alias Franzi erbricht grünen Schleim, kauert völlig entkräftet am Boden und brüllt hysterisch herum, um kurz darauf wieder zu wimmern. Da läuft es einem kalt den Rücken herunter.

Die Erkenntnis:

"Côte d'Azur" lenkt die Aufmerksamkeit von den Flüchtlingen, die zuletzt immer wieder Thema im Tatort waren, auf das hausgemachte, deutsche Elend. Auf Obdachlose, die abgerutscht sind und sich trotz Armut und Alkohol ein Quäntchen Geborgenheit bewahren wollen. Auch das gibt es in Deutschland.

Die Schlusspointe:

Bittersüß singen Franzi, der alte Bill und Lucky "Oh du Fröhliche". Im Hintergrund hängen am Tannenbaum vorm "Côte d'Azur" leere, silberne Tetra-Packs. Einer nach dem anderen rückt ins Bild, als würden sie dem Zuschauer ihr Elend voller Ironie ins Gesicht schleudern. "Frohe Weihnachten" wünschen sich Blum und Perlmann. Da muss man schon mal schlucken.

– Carolin Gasteiger, Sueddeutsche.de


"Tatort" über Obdachlose - Asis mit Attitüde

Absturz geht auch mit Würde: Der neue Bodensee-"Tatort" taucht ins Obdachlosenmilieu hinab und verleiht den Randexistenzen starke, kluge, sogar komische Stimmen.

Ein Baby, viele Väter, allesamt Alkoholiker. Das klingt nach fahlem Sozialreport, das ist in Wirklichkeit aber der "Tatort" mit den funkelndsten Dialogen seit geraumer Zeit. Immer wenn man im Laufe dieses Krimis aus dem Obdachlosenmilieu denkt, die Figuren sind auf dem besten Weg, zu Penner-Pappkameraden zu verkommen, hauen sie eine Zeile für die Ewigkeit raus.

Etwa diese hier, gesprochen von einem jungen Mann mit schlechter Haut, aber feinstem Pogo-Stammbaum: "Mein Vater war Punk, ich bin Punk, und wenn ich einen Sohn habe, wird der auch Punk." Starke, stolze Worte: Auf diese Weise gibt man den Abgestürzten und Abgewrackten Würde zurück.

Denn auch wenn es zuerst nicht auffällt: Die Gestalten, die in der Asi-Absteige mit dem schönen Namen "Côte d'Azur" herumhängen, ringen schon irgendwie um ihre Würde. Mögen sie auch ziemlich lächerlich aussehen in ihren rissigen Weihnachtsmannkostümen, in denen sie zur Adventszeit auf Christmärkten so tun, als ob sie für Orang-Utans sammeln, während sie doch Kleingeld fürs Besäufnis zusammenzukriegen versuchen.

Erschlagen vom Weihnachtsmann

Sie beklauen einander, sie behüten einander. Sie beschimpfen einander, sie verteidigen einander. Mittendrin in dem aufgewühlten Haufen: die schöne Hartz-IV-Empfängerin Vanessa, die in gezockten Designerklamotten hierherkommt, den Kinderwagen mit ihrem schreienden Baby in die Ecke stellt und sich mit den anderen die Lampen ausgießt.

Eines Nachts wird sie auf offenem Feld von einem Mann im Weihnachtsmannkostüm erschlagen, das Baby findet man am nächsten Morgen halb erfroren im Kinderwagen unter einem Baum. Verdächtige gibt es so viele wie potenzielle Väter: Als Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) im "Côte d'Azur" auflaufen, nehmen alle Kerle auffällig viel Anteil an dem Schicksal des Kleinen. Jeder glaubt, er könnte der Erzeuger sein. Irgendwann stehen drei vor ihnen auf der Intensivstation, auf der das Baby liegt - wie die Heiligen Drei Könige vor dem neugeborenen Heiland.

Keine Angst, droht Kitsch, holen die Filmemacher die Keule raus. Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog haben schon einige gute Krimis zusammen gedreht, unter anderem die "Tatort"-Folge "Die schöne Mona ist tot", die vielleicht beste aus Konstanz überhaupt, in der es auch schon um Suff, Sehnsucht und verquere Formen der Liebe ging. Autor Stauch hat außerdem den starken Rostocker "Polizeiruf" aus dem Müllsammlermilieu von 2010 geschrieben.

Wie damals gelingt es ihm auch jetzt in dem Bodensee-"Tatort", den Pennern eine Stimme zu geben, mit der sie Abhängigkeiten und Grausamkeiten erklären können, ohne dass das alles zu gekünstelt wirkt. Man nehme nur den Augenblick, wo eine der Bewohnerinnen des "Côte d'Azur" einen der Männer in Weihnachtsmannkostüm anklagt, den Mord begangen zu haben: "Komm, jetzt nimm diesen Scheißbart ab, damit ich dich als Gewaltverbrecher ernst nehmen kann."

Gelegentlich übersteuern die Darsteller ihre Elendsperformance - wie sie aber als Asis mit Attitüde das komplizierte Sozialgeflecht in ihrem Clochard-Kosmos tragikomisch auf den Punkt bringen, das ist großes Dialogfernsehen.

Bewertung: 8 von 10

– Christian Buß, Spiegel online


Die Zeiten werden auch beim "Tatort" immer schnelllebiger. Neue Teams kommen und gehen. Die Fälle werden greller, lauter, brutaler. Es war für die Beteiligten schon mal einfacher, nicht unterzugehen in der Flut der inflationär vielen Sonntagabendermittler. Zum Beispiel Anfang des Jahrtausends, als die ehemalige Fassbinderschauspielerin Eva Mattes als Konstanzer Kommissarin Klara Blum den Dienst antrat. In die aufgekratzte Gegenwart passt die stille Kriminalerin kaum noch. Kein Wunder, dass Mattes und ihr langjähriger Partner Sebastian Bezzel, der ewige Assistent Perlmann, Anfang des Jahres ihren Abschied ankündigten. Von der Bildfläche verschwinden die beiden indes nur so langsam wie eine Nebelschwade vom Bodensee. "Côte d'Azur" ist jetzt ihr drittletzter Fall. Erst 2016 wird im Konstanzer Kommissariat das Licht gelöscht. Ein langer Abschied also, und er macht durchaus Freude.

Seit das Ende beschlossen ist, scheint sich bei Team und Machern ein Gefühl der Befreiung einzustellen. Keine Spur mehr von der oft bleiernen Schwermut der Südwestkrimis. "Chateau Mort" war zuletzt eine herrlich beschwipste Zeitgeschichts-Groteske mit historischem Re-Enactment. Jetzt wird schon wieder ein französischer Episodentitel bemüht, der mediterrane Lebenslust verspricht, aber nur in einen schwer ironisch "Côte d'Azur" getauften Bretterverschlag in Autobahnnähe führt.

Dort hausen ein paar ungewaschene Verlierer vom Bodensatz der Gesellschaft. Eine von ihnen wurde ermordet: eine Hartz-IV-Empfängerin mit kleptomanischen Anflügen und verwahrlostem Kleinkind, das im Fortgang viel Grund zur Sorge gibt. Wenn's nicht der Weihnachtsmann höchstselbst war, der die Mutter erschlug, dann einer ihrer Barackenmitbewohner, die auf dem Christkindlmarkt mit angeklebtem Bart und rotem Mantel Spenden zum Erhalt der Orang Utans sammeln. Dass die Hallodris anderes im Sinn haben als bedrohte Affen, lässt sich denken. Tatsächlich werden sämtliche Einnahmen in Alkohol und härtere Drogen investiert. Eine vergleichsweise lässliche Sünde im Angesicht eines Kapitalverbrechens wie Mord.

Die Verdächtigen, darunter ein gewalttätiger Ex-Polizist (Andreas Lust), ein Punk aus Überzeugung (Kai Malina) und ein bankrotter Handwerksmeister (Peter Schneider), entwinden sich den Befragungen halbwegs glaubhaft mit dem Verweis auf rauschbedingte Erinnerungslücken - schließlich dröhne man sich allabendlich ordentlich zu. Auch deshalb kommen die Ermittlungen nur sehr bedächtig im engsten Verdächtigenkreis voran. Es ist eine kleine, subtile Kriminalgeschichte (Buch: Wolfgang Stauch, Regie: Ed Herzog) über Leute, für die sich normalerweise keine Sau interessiert Auch nicht im "Tatort", wo so mancher Schreiber unterhalb der Weltverschwörung keinen Fall mehr anlegt.

Zwischen den beiden Ermittlern ist bei all dem derart viel Gezänk und wenig Empathie, dass man das beschlossene Ende des Duos schon riecht. Bis dahin aber entlädt sich vieles in lakonischer Komik, trefflichem Wortwitz und ganz am Ende sogar in jahreszeitlich bedingter Besinnlichkeit. "Frohe Weihnachten", wünscht man sich allenthalben. Schade ist da nur - der Hinweis sei an die unergründliche ARD-Pogrammplanung gerichtet - dass es in Wirklichkeit erst Anfang November ist.

– Jens Szameit, teleschau / tatort-fundus.de


Ist schon Adventszeit?
Im „Tatort“ am Bodensee schlägt ein Nikolaus zu
Der „Tatort“ mit Eva Mattes und Sebastian Bezzel als den Kommissaren Klara Blum und Kai Perlmann wird 2016 mit zwei letzten Episoden vom Bildschirm verschwinden. Seit 2002 sind sie für den Südwestrundfunk in Konstanz stationiert. Mit ihrem drittletzten, emotionalen Fall, von dem Regisseur Ed Herzog nach einem Drehbuch von Wolfgang Stauch inszeniert, drehen sie jetzt noch einmal gehörig auf. Der formidable Eindruck, den ihr Spiel macht, mag damit zusammenhängen, dass ein Film, in dem ein Baby um sein Leben ringt, niemanden kaltlässt. Dabei glänzt die Episode „Côte d’Azur“ vor allem durch die Dialoge, mit denen die Tristesse jenen Hauch des Unterhaltsamen bekommt, den es bei einem solchen Sujet braucht, soll einem nicht die Luft wegbleiben.

Die Sätze, die Wolfgang Stauch zurechtfeilt, können erschreckend hart sein. Ebenso zynisch wie wahrhaftig etwa fallen die Kommentare aus, mit denen der von Barnaby Metschurat verkörperte Leiter der Abteilung für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin das Warten Kai Perlmanns vor dem Baby im offenen Glaskasten begleitet. Perlmann beging einen Fehler, als die Polizei in der Weihnachtszeit per SMS auf eine Frauenleiche am Rheinufer aufmerksam gemacht wurde. Obwohl die Nachricht den Hinweis auf ein unversorgtes Kind enthielt („Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell“), ließ er nach dem Leichenfund nicht unverzüglich nach dem Baby suchen. Es lag dort im Freien, stark unterkühlt.

Nun liegt der kleine Junge im Koma. Ein Monitor überwacht Herzfrequenz, Atmung und Sauerstoffsättigung. Die Überlebenschancen des Kindes stehen so schlecht, dass das Kerlchen den armen Perlmann, den es nach dem Versäumnis in die Klinik treibt, zusehends religiös macht. Eine Bemerkung des Arztes verweist auf die bitteren Umstände, unter denen der Junge in die Welt gesetzt wurde: Die Mutter war Alkoholikerin, das Gehirn des Babys scheint bereits geschädigt zu sein. In der Nacht ihrer Ermordung hatte seine Mutter 2,3 Promille Alkohol im Blut.

Von den Verdächtigen war auch niemand nüchtern. Sie zählen zu einem Milieu, das man in Parks und Bahnhöfen antrifft. Es sind Menschen mit ähnlichen Gesichtern und vergleichbar gescheiterten Lebensläufen – ob man nun an den Obdachlosen denkt, der das Leben im Freien der Nervenklinik vorzog, an den Handwerker, der aus dem Leben fiel, die entgleiste Kunststudentin oder den obligatorischen Punk. Vor dem „Côte d’Azur“, einem Bretterverschlag am Ufer des Flusses, lassen sie sich volllaufen, finanziert durch das erschnorrte Münzgeld vom Weihnachtsmarkt. Die Frauen verkaufen ihren Körper.

Der sonst eher heitere Kommissar Perlmann kann sich am Beispiel eines schmierigen Ex-Kollegen schon mal ausmalen, wie schnell ein beruflicher Fehltritt jemanden nach ganz unten befördern kann. Den Gegenpol zu dieser Szene bildet die „Hitmaschine von Konstanz“, ein Musikproduzent, der sich mit jungen Frauen umgibt und welcher der Toten ebenfalls begegnet sein könnte. Vor den Sitzgruppen von dessen Villa fängt der Kameramann Andreas Schäfauer ein Stillleben ein, das fürs Plattencover taugte.

Klara Blum und Kai Perlmann, beide von den Umständen dieses Falles erschüttert und angespannt wie selten zuvor, konfrontieren jede Trümmergestalt mit ihren Mordtheorien. Wobei die männlichen Verdächtigen auch als Vater des im Koma liegenden Babys in Frage kommen. Wollte der Täter den kleinen Jungen womöglich aus den Umständen, unter denen die Mutter vegetierte, befreien? Ein Mörder als verhinderter Sozialarbeiter? Das ist die ungeheuerliche Frage, die auf uns zurollt. In diesem „Tatort“ hat der Nikolaus keine feine Überraschung auf Lager. 

– Matthias Hannemann, F.A.Z.


Die Würde der Abgewrackten
Der Bodensee-«Tatort» war ein graues Sozialdrama – und trotzdem ein ausgezeichneter und humorvoller Film.

Weihnachten, das Fest der Nächstenliebe und Geburt Jesu. Nicht für Vanessa. Sie wurde von einem Weihnachtsmann mit der stumpfen Seite einer Axt erschlagen. Ihr Baby, das sie dabei hatte, rang schwer unterkühlt um sein Leben.

Per SMS von ihrem Handy erfuhr die Polizei über den Mord: «Ich bin tot. Bitte kümmert euch um mein Baby.» Hatte der Mörder die Nachricht verfasst? Die Ermittlungen führten die Kommissare bald in eine Obdachlosenbaracke am Bodensee, von den Bewohnern ironisch «Côte d'Azur» genannt.

Wer sich aufgrund des gleichnamigen Filmtitels auf ein Auslandreisli des Ermittlerduos gefreut hatte, wurde also enttäuscht. Doch nur für kurze Zeit, denn die Folge war ein überzeugender Krimi - oder präsziser gesagt - ein Sozialdrama: Vanessa bezog Hartz IV und hauste ebenfalls an der «Côte d'Azur», deren Bewohner als Weihnachtsmänner unterwegs waren, um ein bisschen Geld zu verdienen (so konnten sie ihre abgewrackten Visagen verstecken).

Autor Wolfgang Stauch hat schon Folgen für den «Polizeiruf» geschrieben, sowie den «Tatort» «Die schöne Mona ist tot». Ihm eigen ist ein Flair für schräge Figuren, das auch gestern zum Zug kam. Die Junkies, Punks und Alkoholiker, die unter Brücken auf zerschlissenen Sofas in den grauen Winter starrten, waren mehr als torkelnde Klischees, weil Stauch ihnen eine Backstory und Würde gab.

Keine überdeutliche Sozialkritik

Auch die sonst harmonisierenden Kommissare durften unstereotypisch agieren. Perlmann: «Wenn man sich die Statistiken anguckt...wie läuft es denn bei solchen Leuten meistens? Die streiten sich, um irgendwas, um nichts, sind hackedicht - und dann knallt’s». Blum gereizt: «Du meinst, sowas passiert halt mal, in diesen Kreisen?»

Nicht nur über das Motiv lagen die beiden Kommissare im Streit. Wegen Perlman wurde das Baby später als möglich gefunden, es drohte ein Hirnschaden. Die bleischwere Ausgangslage wurde aber gekonnt mit Humor gespickt. Da war etwa ein selbstgefällige Musikproduzent, der in einer Villa mit jungen Frauen in Schuluniformen residierte. Der Dieter-Bohlen-Verschnitt entpuppte sich als Vater des Babys. Hatte er Vanessa auf dem Gewissen?

Nein, diese überdeutliche Sozialkritik blieb uns zum Glück erspart. Der Mörder war ein Bewohner der «Cote d’Azur». Er konnte es nicht ertragen, wie Vanessa ihr Baby vernachlässigte und gefährdete. Damit das Kind zum Musikproduzenten kam, erschlug er sie. «Wir Obdachlose sind nicht wichtig, das Kind ist wichtig», sagte er bei seiner Verhaftung. Dazu stimmten die anderen Randständigen im Chor «Oh du Fröhliche» an und als Zuschauer fragte man sich mit Gänsehaut, ob die Tat des Mörders betroffen oder tatsächlich froh macht.

– DerBund.ch/Newsnet


Und sie können es doch
Bodensee-Tatort? Normalerweise ein Grund zum Abschalten. Denn wer will schon 90 Minuten lang – zugegeben schöne – Aufnahmen vom Bodensee anschauen? Eben.

Dieses Mal aber lohnt sich das Dranbleiben. Von der ersten Minute an ist klar: Hier wird nicht gepflegte Langeweile zelebriert, hier geht es ans Eingemachte. Unzensiert und ungeschönt, mitten rein ins hässliche Leben. Eine junge Mutter wird am Konstanzer Rheinufer (Überraschung!) tot aufgefunden und ausgerechnet der biedere Perlmann (Sebastian Bezzel) übersieht Hinweise auf ihr Baby, das in der eisigen Dezembernacht abseits im Schilf zurückbleibt. Perlmann leidet an seiner Schuld so glaubhaft, dass die oft enervierend verständnisvolle Klara Blum (Eva Mattes) neben ihm völlig verblasst und genügend Raum lässt für die eigentlichen Stars des Tatorts: eine Gruppe heruntergekommener Obdachloser, die in einer schmierigen Baracke namens „Côte d'Azur“ hausen. Elend, ungeschminkt. Abgefrorene Füße, inkontinente Männer, brodelnder Hass zwischen Menschen am Abgrund. Dabei immer wieder herzzerreißend und so spannend, dass sich über einige Ausreißer hinwegsehen lässt. Perlmanns Witze („Hei, ich bin der Kai von der Polizei“) und die völlig überzeichnete Figur eines dekadenten Starmusikers haben den Film nicht nach vorn gebracht.

 

Umfrage:  Wie hat Ihnen der heutige Bodensee-Tatort gefallen?

20,83% - Gar nicht gut. Schön das man sich diesen Tatort ab 2016 nicht mehr antun muss.

75,00% - Überraschend gut! Selten so einen guten Bodensee-Tatort gesehen.

0,00% - Weiß nicht. Bin eingeschlafen.

4,17% - Das schönste am Tatort sind die anschließenden Umfragen bei der RUNDSCHAU

– Andrea Hilscher, Lausitzer Rundschau


Ist es nicht eigentlich noch zu früh für den Weihnachtsmann? Nicht im "Tatort". Die Folge "Côte d'Azur" aus Konstanz war einer der besten Krimis des scheidenden Duos Perlmann und Blum (Sebastian Bezzel und Eva Mattes). Hier gibt es das Wichtigste.

90 Minuten in 90 Zeichen

Um ein Baby vor seiner alkoholsüchtigen Mutter zu beschützen, bringt einer der potenziellen Väter sie um.

Der härteste Spruch

"Wer will denn schon ein Baby haben, das Perlmann hat erfrieren lassen?", sagte Kommissarin Klara Blum. Assistent Kai Perlmann hatte Hinweise auf das sechs Monate alte Baby der Ermordeten übersehen. Selbstzweifel und Schuldgefühle plagten ihn ohnehin, mit seiner  Kollegin geriet er immer wieder aneinander. "Entspann Dich einfach, Perlmann", sagte Blum genervt zu ihm. Seine Antwort: "Frau Blum, Sie haben ein Problem mit mir. Ich habe ein Problem mit mir. Wie soll ich mich da entspannen?"

Lustiger Dialog

Der Musikproduzent Jürgen Evers (Markus Hering):  "Was seid Ihr denn für ein Duo?" Antwort Blum und Perlmann: "Kripo Konstanz".

Der "Hä?"-Moment

Ist es für Weihnachtsmänner nicht etwas verfrüht? Auf die Frage, ob die Ausstrahlung zunächst für einen späteren Zeitpunkt geplant gewesen sei, antwortete der SWR: "Die Idee mit den Weihnachtsmännern, ist eine, die Autor Wolfgang Stauch für die Besitzlosen in seinem Film hatte, als Kontrast zu dem Milieu, in dem sie wohnen, sie ist ganz unabhängig von Sendeterminen. Der Fokus des Films liegt ja darauf, einen tiefen Blick in das Milieu der So-gut-wie-Wohnungslosen zu tun.  Angesichts der Lebkuchen und Spekulatius, die gerade wieder in den Supermärkten zu finden sind, passt der Film ja auch in die Jahreszeit, auch wenn er kein Weihnachtsfilm im engeren Sinne ist."

Will ich auch haben

Der "Weinnachtsbaum": Billigen Wein in Beuteln kaufen, austrinken, Beutel aufpusten und in den Baum hängen, glänzen fast so schön wie Christbaumkugeln.

Die sollte ich mir merken

Friederike Linke spielte überzeugend die Drogenabhängige Franzi. Es war bereits ihr dritter Auftritt in der ARD-Krimireihe, früher hat sie auch am Schauspielhaus Düsseldorf gespielt.

Der "Tatort”-Chic

Irokesenschnitt mit Weihnachtsmannkostüm und Orang-Utan-Spendendose

Heimatliebe

Die Imperia erinnert daran, dass der Fall in Konstanz spielt, ansonsten ist der Bodensee dieses Mal kaum präsent.

Der richtige Zeitpunkt für den Klogang

Keiner. Der Fall war durchgehend spannend.

Der Aha-Moment

Autor Wolfgang Stauch ist für seine poetische Bildsprache bekannt. Daher spricht viel dafür, dass die Imperia nicht nur schönes Motiv im Hintergrund ist, sondern als berühmte Hure auch Sinnbild für die Ermordete, die ebenfalls mit zahlreichen Männern verkehrte.

Experten-Diagnose

Wo kein Geld ist, kann auch keine Liebe sein - dieser Spruch hat hier keinen Bestand, denn die Obdachlosen sind größtenteils loyal zueinander, zwischen Franzi und Bill herrscht fast so etwas wie familiäre Liebe.

– Leslie Brook, Rheinische Post


TV-Experte Jens Szameit wundert sich über die unzeitgemässe Terminierung des Konstanzer Advents-«Tatorts». Freude gemacht hat er ihm trotzdem.

Na, haben Sie sich auch wieder bereits Mitte Oktober mit Lebkuchen und Christstollen aus dem Supermarkt eingedeckt? Dann ist ein Weihnachts-«Tatort» am 1. November wahrscheinlich genau nach Ihrem Geschmack! Nein? Nun gut: Welchen Sinn ergibt es also, fast zwei Monate vor dem Fest der Liebe einen in der Adventszeit spielenden Krimi dem TV-Publikum vorzusetzen? Wahrscheinlich steckt ein ausgeklügelter Masterplan der ARD-Programmkoordinatoren dahinter. Oder eben gar keiner.
Spielfreude und Heiterkeit wie lange nicht
Man kann halt nicht alles im Leben verstehen. Es reicht ja schon, wenn man mal wieder einem «Tatort» problemfrei folgen kann, weil er so stark und übersichtlich erzählt ist wie der nunmehr drittletzte mit den scheidenden Kommissaren Blum (Eva Mattes) und Perlmann (Sebastian Bezzel). So komisch es ist: Seit das Ende des Duos beschlossen und terminiert ist (2016), herrscht eine Spielfreude wie lange nicht am Bodensee.
Da sprudelt der feine Wortwitz sogar aus einem Fall, der bei Licht betrachtet ein ziemlich trister ist: Aus dem Kreise einer Obdachlosen-WG ist eine fleissige Mittrinkerin und Mutter eines vernachlässigten Kleinkinds erschlagen worden. Der Kreis der Verdächtigen ist überschaubar und doch schwer durchdringlich. Wenn die stolzen Verlierergestalten nicht im Weihnachtsmannoutfit unter karitativen Vorwand Saufgeld ergaunern, berufen sie sich auf rauschbedingte Erinnerungslücken. Kein einfaches Klientel.

Eine kleine Geschichte über Leute, für die sich sonst keine Sau interessiert
Die wunderbaren Filmemacher Wolfgang Stauch (Buch) und Ed Herzog (Regie) haben da eine kleine, subtile Kriminalgeschichte gezaubert über Leute, für die sich normalerweise keine Sau interessiert. Auch nicht im «Tatort», wo ja so mancher Schreiber unterhalb der Weltverschwörung keinen Fall mehr anlegt.
Hier aber ist im Kleinen alles fein austariert. Die Spannung, die Tragik, die Figurenzeichnung – und der befreiende Humor. Action und Sozialkritik sind diesmal Fehlanzeige. Fehlen tut da im Grunde trotzdem nix. Ausser vielleicht der Thurgauer Kantonspolizist Matteo Lüthi (Roland Koch), der seiner deutschen Amtskollegin Klara Blum zuletzt so schön den Kopf verdrehte. Vielleicht lässt er sich zum Finale kommendes Jahr ja wieder blicken. Hätte doch was, wenn der Lüthi und die Blum im Schlussbild Richtung Schweizer Bodensee-Ufer in den Sonnenuntergang paddeln. Nur so als Anregung, falls der Drehbuchschreiber noch nach einer griffigen Idee sucht.

5 Kommentare

Argus • vor 3 Tagen
Danke für die «Kritik», die diesmal eigentlich keine ist.
Es war eine besinnliche Geschichte, ohne oberflächliche Actions, die in der Regel nichts zur Spannung beitragen, nur Staffage sind. Auch mit einer hohen schauspielerischen Leistung der Akteure, kein einziger Durchhänger. In der Adventszeit hätte dieser Tatort wohl noch mehr bewegt, als gratis-Zugabe sozusagen.

B.R.F-Z • vor 3 Tagen
Ist doch ok so - man nehme es nicht so pünktlich, denn schon bald bevölkern ja wieder Osterhasen Regale und Filme...

Jedenfalls war der Tatort gut gemacht, Bravo an die Crew!

Der Skorpion • vor 3 Tagen
Schade eigentlich!!! Fehlten nur noch die Weihnachts-Lieder!!! Dann hätte ich an den Santa-Claus Tatort geglaubt!!!

fe • vor 3 Tagen
Warum Tatort nicht an Allerheiligen ausstrahlen ?, ich hab schon ende September im Hornbach Weihnachtsartikeln entdeckt!
Fand diesen Tatort übrigens gut gespielt, eine glaubwürdige Geschichte.

Don Logan • vor 3 Tagen
Das war endlich wieder einmal ein guter Tatort mit viel Tiefsinn und Spannung. Egal, ob er an Ostern, Pfingsten oder Allerheiligen ausgestrahlt wurde. Die Menschheit tickt ja eh viel zu früh, was Volksbräuche anbelangt. Auch in den Regalen der Migros waren schon Ende Oktober Weihnachtsartikel präsentiert und im Januar kommen dann bereits die ersten Osterhasen.

– Jens Szameit & alle Leserkommentare aus bluewin.ch


An dieser "Côte d'Azur“ will man lieber nicht stranden: Blum und Perlmann ermitteln im Obdachlosenmilieu - und streiten sich. Sonntag im ORF.

Worum geht's in "Côte d'Azur"?

Es weihnachtet am Bodensee. Eine junge Mutter macht sich hektisch für ein Date zurecht. Die Weihnachtslieder hat sie wohl nicht für sich aufgelegt, sondern um ihren kleinen Sohn zu beruhigen, dessen immer quengeliger werdendes Weinen sie mit einem kräftigen Zug aus der Sektflasche quittiert. Kurz darauf macht sie sich im Dunkeln mit dem Kind auf den Weg und läuft auf einem einsamen Pfad ihrem Mörder in die Arme – einem Weihnachtsmann. Pech für Klara Blum und Kai Perlmann, dass es einen ganzen Trupp Obdachloser gibt, die als Weihnachtsmänner verkleidet Geld sammeln – jeder könnte es gewesen sein . . . sogar die einzige Frau, die in der desolaten Absteige namens "Côte d'Azur" aufkreuzt. Die Ermittlungen führen immer weiter an den Rand der Gesellschaft – zu Schlägern (als cholerischer ehemaliger "Bullen-Arsch" überzeugend unsympathisch: Andreas Lust), zu Sandlern und Junkies.

Wer ermittelt?

"Weißt Du was? Du gehst mir echt auf den Sack!". Diesmal platzt Kara Blum (Eva Mattes) der Kragen, weil ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) erst die Beweise vom Tatort sammeln will, bevor er nach dem verschwundenen (und dann halb erfrorenen) Baby der Toten suchen lässt. Der Aufprall von Blums mütterlichen Instinkten auf Perlmanns Kombination aus Lehrbuchtreue (erst Beweise suchen) und schlechtem Gewissen (dann nächtelang neben dem komatösen Kind wachen) sorgt dafür, dass dieses eher farblose "Tatort"-Duo sein Profil ein wenig auffrischen kann. Auch Perlmanns Einstellung gegenüber den Obdachlosen geht Blum gehörig gegen den Strich. Da geht einmal nicht alles ganz so glatt. Gut so.

Was gefällt?

Die Story beginnt wie ein veritabler Thriller. Und sie stellt mehr als nur die Frage: Wer hat es getan? Es geht dezidiert auch darum, ob ein Menschenleben mehr wert ist als das andere. Der bornierte Kinderarzt bringt es mehrmals krass auf den Punkt: „Gut, dass Mama tot ist“, flüstert er dem Kleinen zu. Eine Säuferin, die ihr Kind bis zum Schädeltrauma schüttelt, ist für ihn nichts als Abschaum, Harz-IV-Empfänger in der zweiten, dritten Generation auch. Am Ende ist der Tod der Mutter für das Kind tatsächlich eine Chance.

Was noch?

Nicht nur Blum spricht in diesem "Tatort" ziemlich scharfen Klartext. Franzi, die Freundin der Toten (beeindruckend hysterisch im kalten Entzug: Friederike Linke) raubt dem Ermittlerduo alle Illusionen: "Es ist nicht schwierig, sich durch die Stadt zu fressen und zu saufen." So lange die Mädels jung und hübsch sind. Einer derjenigen, die solche Parties schmeißen, ist Musik-Star Jürgen Evers. Eine kleine Glanzrolle für Markus Hering als alternder Playboy, der sich – auch mit klaren Worten – dann doch noch besinnt: "Ich bin nicht besonders charmant. Ich sehe nicht besonders gut aus. Ich habe einen kleinen Schniedel – also was wollt ihr von mir?" Vermutlich das Geld, das am anderen Ende der Gesellschaft fehlt. Doch auch darüber darf man ein wenig schmunzeln, wenn sich die Obdachlosen für den Besuch im Krankenhaus im eiskalten Fluss waschen. Seife gibt’s. Dazu so wenig Wasser wie möglich (zu kalt!). Aber Deo? "Grüner Apfel?", schnuppert einer, bis ihm ein Licht aufgeht: "Raumspray?!?" Hauptsache, es wirkt.

Wo hakt's?

Weihnachten am 1. November nervt! Und: Bitte nicht so naiv! Dass die Obdachlosen gemeinsam für das Feuerholz sparen, einen Weihnachtsbaum mit ausgetrunkenen Weinkanistern (oder so was ähnlichem) schmücken und idyllische Lieder singen - da war wohl der Wunsch der Vater des Drehbuchs. Und dass der Herr Kommissar, der neben dem Bettchen des betäubten Kindes sitzt, zum Kreuz an der Wand aufblickt und die einfache Formel spricht: "Ich hab nie an Dich geglaubt, aber jetzt brauche ich Deine Hilfe" - samt Hinweis, er wäre "natürlich dann bereit, meine Einstellung zu Dir zu ändern" klingt ein bisschen nach Schulaufsatz. Ach ja: Und die zwei obdachlosen Sucht-Mädels sind Vegetarierinnen. Wer's glaubt . . .

– Isabella Wallnöfer, Die Presse


Ist scho’ Weihnachten?

Hoppla, ein bisschen früh sind die Konstanzer mit ihrem Weihnachtskrimi ja schon dran. Aber das Thema hat was: Weihnachtsmann erschlägt junge Mutter! In der Ausarbeitung werden dann ganz schön Klischees zelebriert. So war die Alleinerziehende Alkoholikerin und eine von ihren Mutterpflichten völlig überforderte Hartz-IV-Empfängerin. Und als Mörder, aber auch potenzielle Erzeuger des Babys, kommt das ganze Umfeld in Frage.

Als da sind: obdachlose Drogen- und Alkoholabhängige wie aus dem Bilderbuch. Für den Schickimicki-Faktor gibt es einen öligen Musikproduzenten oben drauf, der plötzlich Vaterqualitäten entdeckt. Doch - Oh Wunder! - die Arrangements erweisen sich als Mogelpackungen im besten Sinne. Genau wie der vielversprechende Titel, der für alles andere als den Hotspot der Reichen und Schönen steht.

Das Beste zum Schluss

Hinter dem überraschend konterkarierten Plot mit viel Liebe zu den Figuren steckt ein Macher-Duo (Autor: Wolfgang Stauch; Regie: Ed Herzog), das seine Entsprechung im oft geschmähten Ermittlerduo findet: Eva Mattes und Sebastian Bezzel spielen entkrampft auf wie selten. Ob das damit zusammenhängt, dass das Beste bekanntlich zum Schluss kommt? In dieser Form hätte man die zwei, für die laut SWR 2016 die letzte Klappe fällt, gern noch länger gesehen!

– rtv & Saarbrücker Zeitung


Von 
Der „Tatort“ vom Bodensee ermittelt im Obdachlosen-Milieu. Es ist kalt, eine Frau ist tot - und es gibt eine SMS von ihrem Handy.

Es ist gerade erst November, und aus dem "Tatort" ist schon die erste Sichtung eines Weihnachtsmannes zu vermelden. Er hat leider keine Geschenke mitgebracht, sondern eine Axt, mit der er einer jungen Frau an einer Böschung am Rheinufer den Schädel spaltet. Dann schreibt er eine SMS mit dem Handy des Opfers: "Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell." Der Kinderwagen mit dem Säugling steht in einem nahe gelegenen Waldstück herum. Es ist kalt.

"Côte d'Azur" ist der 29. Fall für Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes), der seit 24 Episoden ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) zur Seite steht. Allzu oft werden wir den beiden nicht mehr dabei zusehen können, wie sie am schönen Bodensee menschliche Abgründe ausleuchten. Der Südwestrundfunk hat angekündigt, sie 2016 in den Ruhestand zu schicken – leider ohne Begründung. An den Quoten kann es nicht liegen, die lagen in letzter Zeit immer stabil zwischen neun und zehn Millionen Zuschauern.

Diesmal steigen sie hinab in das Reich der obdachlosen Alkoholiker. Sie haben einen Treffpunkt am Rhein, eine Hütte mit dem traurigen Namen "Côte d'Azur". Ihr Strand sind ein paar schmutzige Kiesel unter einer Brücke. Bill, Urs, Lucky und Franzi. Saufkumpane am Rande der Gesellschaft.

In diesen Kreisen war das Opfer unterwegs. Aber warum trug sie am Abend ihres Todes ein Abendkleid? Wohin ist der teure Ring verschwunden, den man auf Fotos von ihr sieht?

Blum und Perlmann glauben nicht an einen Raubmord. Warum sollte sich der Täter dann Sorgen um das Kind gemacht oder auch nur von ihm gewusst haben? Es überlebt, wenn auch mit schweren Unterkühlungen.

Die Spur führt zu den Zechfreunden, die sich nebenher als Weihnachtsmänner verdingen. Interessant ist der "Tatort" vom Bodensee nicht wegen der Tätersuche. Regisseur Ed Herzog und Autor Wolfgang Stauch gelingt ein dif­ferenzierter Blick auf ein Milieu, in dem Sucht und Freundschaft eine trostlose Partnerschaft eingehen.

– Felix Müller, Berliner Morgenpost


„CÔTE D'AZUR“ HEUTE ABEND IN DER ARD
Lohnt sich der neue Bodensee-„Tatort“?

Fans klassischer Krimis werden den neuen Fall des Bodensee-Teams mögen: In „Côte d‘Azur“ (ARD, 20.15 Uhr) gibt es einen Axt-Mord zu Beginn und gleich eine Gruppe von Tatverdächtigen. Dazu Ermittlungen zwischen Obdachlosen-Milieu und Millionärsvilla.

So eine klare Erzählstruktur ist man als „Tatort“-Zuschauer nach den unterschiedlichen Folgen der letzten Wochen ja gar nicht mehr gewohnt. In ihrem drittletzten Fall geraten die Kommissare Blum (Eva Mattes, 60, Foto) und Perlmann (Sebastian Bezzel, 44) ordentlich aneinander. Die Spannungen führen fast zum Bruch.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist sicherlich, dass in einem „Tatort“, der Anfang November ausgestrahlt wird, schon Weihnachten ist. Zu Beginn ertönt „Stille Nacht, heilige Nacht“, die Obdachlosen verkleiden sich als Weihnachtsmänner und sammeln schließlich auf dem Weihnachtsmark für Orang-Utans, um das Geld anschließend zu versaufen.
Die gute schauspielerische Leistung von Andreas Lust (48) und Friederike Linke (34), die die Obdachlosen spielen, verhindert, dass der Fall an manchen Stellen ins haltlose Klischee abrutscht.
Fazit: Sehenswerter „Tatort“, der mit Weihnachtsmarkt und Weihnachtsmännern seiner Zeit einige Wochen voraus ist.

– Bild.de


Haben Sie auch eine Träne verdrückt, als ganz am Schluss die übrig gebliebene Besatzung der Obdachlosenhütte Côte d'Azur „Oh du fröhliche“ sang und sich Kommissarin Blum und ihr Untergebener Perlmann wieder lieb hatten?

Darauf hatte es Ed Herzog, der Regisseur von „Tatort: Côte d'Azur“, wohl angelegt – dass man erstens Mitleid bekam mit den Gemeinschaft von Versagern, Büßern und Ausgestoßenen; und dass man zweitens um den Fortbestand der stark zerrütteten Kripo-Bürogemeinschaft Klara Blum/Kai Perlmann fürchtete. Von diesen dramaturgischen Gefühlsverstärkern lebte die „Tatort“-Folge aus Konstanz. Und natürlich von der Fahndung nach dem Mörder der jungen Mutter und vom Rätsel um den Vater des Kindes, das das Opfer zurückgelassen hatte. Dass Täter und Erzeuger das nicht ein und derselbe Mann war, erfuhr man zum Glück erst spät, sonst hätte der Hauptstrang der Handlung vor der Zeit schlapp gemacht.

Unglaubwürdig aber war ein zentrales Motiv: dass Vanessa Koch, die Erschlagene, Abkömmling einer Hartz-IV-Dynastie und Gastsäuferin in der Côte d'Azur-Absturz-Runde, anstandslos in den Zirkel um den Musikproduzenten Evers eindringen und sich von ihm schwängern lassen konnte. (Nebenbei: Der Name der Schauspielerin, Mandy Rudski, hätte einen wunderbaren Rollennamen ergeben.) In einem Milieu wie dem der „Hitmaschine von Konstanz“ herrscht in Wirklichkeit ein verschärftes Distinktionsbedürfnis gegenüber den niederen Ständen, da hilft auch kein Glitzerkleidchen.

Drei Figuren aber haben den „Tatort“ zu einem feinen Lichtspiel gemacht: die des anmaßenden Mediziners Doktor Schwenkner, dargestellt von Barnaby Metschurat (wäre auch ein funkelnder Rollenname), dessen Diagnose zu den Ausfällen des Kleinkindes Alex kühn ausfällt: „Frau schwanger, Frau säuft – Kind gaga.“ Dann die des alten Bill (Frank Fink), der zur Körperpflege sehr nackt in den dezemberkalten Bodensee steigt und überhaupt schmerzfrei zu sein scheint. Zuletzt und wie schon oft der Kai Perlmann des Sebastian Bezzel. Im kommenden Jahr soll der „Tatort“ aus Konstanz eingestellt werden. Ganz im Vertrauen: Die Glucke Karla Blum (Eva Mattes) kann man verschmerzen, doch diesem Bezzel-Perlmann muss man nachtrauern. Er ist eine Ausnahmeerscheinung im ARD-„Tatort“ – nicht neurotisch, nicht spießig, kein Superman und dennoch in allen Lebenslagen hochsymphatisch. Schön, dass er auch in anderen Filmen von Ed Herzog sein komisches und auch sein dramatisches Talent zeigen konnte und weiter zeigen kann: „Dampfnudelblues“ und „Winterkartoffelknödel“ waren bereits kulinarische und filmische Höhepunkte. Der SWR würde gut daran tun, ihn weiter zu beschäftigen

 

– Michael Berger, Lübecker Nachrichten


Drittletzter Fall für die scheidenden Bodensee-Kommissare Blum und Perlmann: eine im Grunde triste Geschichte über Obdachlose, jedoch herrlich leicht und schön subtil erzählt.

Worum geht's hier eigentlich?

Auf dem Schild über dem Eingang steht "Côte d'Azur". Innen, im Bretterverschlag nahe der Autobahn, herrscht aber alles andere als mediterranes Lebensgefühl. Dort hausen ein paar ungewaschene Verlierer vom Bodensatz der Gesellschaft. Eine fleißige Mittrinkerin der Odachlosen-WG ist in der Vorweihnachtszeit erschlagen worden. Blum (Eva Mattes) und Perlmann (Sebastian Bezzel) ermitteln in einem wenig besinnlichen und überdies wenig kooperativen Milieu.

Wie nervenzerfetzend ist die Spannung?

Der spannendste Aspekt der Geschichte: Das hinterbliebene Kleinkind der Ermordeten wird vermisst und wegen Perlmanns Fehler zu spät entdeckt, sodass der schuldgeplagte Polizist gemeinsam mit dem Zuschauer fortan ums Überleben des kleinen Wurms bibbert. Der Rest ist nicht auf Hochspannung gebürstet, sondern eine von leichter Hand und schönem Wortwitz getragene Kriminalgeschichte, die nicht mehr will, als sie kann.

Ergibt das alles Sinn?

Ja. Die Milieustudie darf als gelungen und löblich gewertet werden. Für die Verlierer der Gesellschaft interessiert sich ja sonst kein Mensch. Übrigens auch nicht im "Tatort".

Würde man diese Ermittler im Notfall rufen?

Nicht unbedingt. Kurz vor ihrem für 2016 angekündigten Abschied sind die Auflösungserscheinungen zwischen der ätherischen Blum und ihrem immer etwas untergebutterten Partner nicht zu übersehen. Weniger Empathie und Verständigung war selten zwischen den beiden.

Lohnt sich das Einschalten?

Jawohl, der Bodensee-"Tatort", der im Angesicht des nahen Endes die Schwere abgelegt und die Leichtigkeit gefunden hat, ist abermals zu empfehlen. Zumindest dann, wenn man darüber hinwegsehen kann, dass die ARD aus schwer ersichtlichen Gründen einen Krimi, der in der Adventszeit spielt, am 1. November sendet.

– Johann Ritter, web.de


Angespannte Stimmung im aktuellen Fall des Ermittler-Duos Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel). Die Kritk zur Folge.

Die Leiche einer jungen Mutter wurde im Schilf am Rheinufer gefunden. Ein klassischer Beginn für die Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel). Schnell tauchten die Konstanzer in den neuen Fall ein. Ihr Verhältnis zueinander aber war spürbar angespannt. Er reagierte sarkastisch. Sie distanziert. Kälte legte sich zwischen sie. Der Anfang vom Ende des „Tatort“ vom Bodensee. Nur noch zwei Fälle liegen vor dem Team. 

In diesem führten die Ermittlungen die Kommissare zur ironisch „Côte d’Azur“ getauften Hütte ins Obdachlosen-Milieu. Die Kameraführung von Andreas Schäfauer erzeugte Spannung. Die Atmosphäre: dicht und düster, still und subtil. Die Aussage war dafür umso deutlicher: Jeder ist fehlbar, jeder kann abstürzen. Von Perlmann, der durch Nachlässigkeit das Leben des Kindes riskierte, bis zur ehemaligen Kunststudentin, die drogenabhängig wurde. Verantwortung und Verzweiflung am Abgrund prägten den Krimi. Sensibel erzählt, beschränkte sich der Film auf das Nötigste. Regisseur Ed Herzog und Autor Wolfgang Strauch brauchten weder Firlefanz noch große Kulisse. Der erzählerische Minimalismus verstärkte die Geschichte vom Leben der Menschen, die nichts haben.

– Marie-Therese Gewert, Hessische/Niedersächsische Allgemeine


Am Bodensee ist schon Weihnachten
Konstanz. Die Obdachlosen kommen im neuen "Tatort" aus Konstanz als Weihnachtsmänner daher. Winterlich frostig ist auch die Atmosphäre zwischen den beiden Kommissaren.

Eine tote junge Frau, die eine SMS an die Polizei schreibt, in der steht, wo ihre Leiche zu finden ist. Wo gibt es denn so was? Der Polizist in der Leitstelle in Konstanz legt leicht verwirrt auf, nachdem ihm die SMS als Sprachnachricht vorgelesen wird, ist aber so geistesgegenwärtig, seine Kollegen zu der beschriebenen Stelle zu schicken. Und tatsächlich handelt es sich nicht um einen Telefonscherz: Die Beamten finden eine ermordete Frau im Schilf. Aber wo ist das Baby, von dem ebenfalls die Rede war? Assistent Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), der zunächst davon überzeugt ist, dass das Kind zuhause ist, wird blass, als ihm Kommissarin Blum (Eva Mattes) mit ihrem mütterlichen Instinkt klarmacht, dass der Säugling höchstwahrscheinlich bei winterlichen Temperaturen draußen im Schilf versteckt liegt. Die Atmosphäre zwischen ihm und Blum ist frostig, und es beginnt eine Suche gegen die Zeit.

Die Nachricht stammt allem Anschein nach vom Mörder. Warum aber macht sich der Täter die Mühe, auf das Neugeborene hinzuweisen? Die Spur führt die Ermittler zu einem Ort mit dem nach Urlaub klingenden Namen "Côte d'Azur". Doch dort ist es alles andere als schön: In der Bretterbude am Ufer treffen sich die Verlorenen und Verirrten. Wer keine Perspektive mehr hat, kommt dort hin, um zu trinken, Drogen zu nehmen, sich zu prügeln oder zu umarmen. Auch einen geschassten Kollegen treffen Blum und Perlmann dort wieder. Das Opfer war ebenfalls häufiger zu Besuch.

Keinen Schulabschluss, keine Ausbildung, Hartz IV - so nüchtern fällt die Analyse zum Hintergrund der toten jungen Frau aus. Doch wie kann sie sich dann ein Abendkleid für knapp 300 Euro leisten? Die anderen Obdachlosen sammeln als Weihnachtsmänner verkleidet Geld für Orang Utans, das sie dann versaufen - ein schöner Kontrast zur grauen Kulisse.

Perlmann läuft zur Höchstform auf. Man nimmt ihm ab, in einem Dilemma zu stecken zwischen eigener Fehlbarkeit und Ermittlungsdruck. Der drittletzte Fall ist nicht nur wegen Perlmanns Leistung einer der besten. Auch die Geschichte, die Sozialstudie und Krimi ist, trägt über die 90 Minuten. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die sich sonst am Rande der Gesellschaft befinden.

Die glaubwürdige Verkörperung von Obdachlosen ist im Fernsehen schon häufig misslungen. Den fünf eher unbekannten Darstellern gelingt das, besonders Friederike Linke als Junkie bleibt im Gedächtnis.

 

– Leslie Brook, Rheinische Post


SO WIRD DER NEUE FALL VOM BODENSEE
Im Tatort „Côte d'Azur“ ist schon Weihnachten

Seitdem klar ist, dass der Bodensee-Tatort ausläuft, können die Macher relativ frei agieren. Das tut dem in die Jahre gekommenen Team gut. Auch im neuen Fall „Côte d'Azur“. Unsere Kritik.
Die Story
Die nächtliche SMS, die die Polizei zur Leiche der jungen Mutter Vanessa Koch (Mandy Rudski) am Konstanzer Rheinufer führt, kam wahrscheinlich von ihrem Mörder.
Kommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) übersieht den Hinweis auf den Säugling der Ermordeten, der in der Dezembernacht abseits im Schilf zurück bleibt. Nur dank Klara Blums (Eva Mattes) Geistesgegenwart gelingt es, das halb erfrorene Baby zu finden und in ein Krankenhaus einliefern zu lassen.

Ob es überleben wird, ist ungewiss. Die Ermittlungsspuren führen die beiden Kommissare in eine heruntergekommene Baracke, die den ironischen Namen „Côte d'Azur“ trägt. Darin findet eine Gruppe selbstorganisierter Obdachloser Unterschlupf.
Franzi (Friederike Linke), Urs (Peter Schneider), Lucky (Kai Malina) und Bill (Frank Fink) kämpfen dort mit billigem Wein gegen die Winterkälte an - das Geld dafür verdienen sie im Weihnachtsmannkostüm mit Klingelbüchsen für „gefährdete Orang-Utans“.
Ihnen hat sich auch der ehemalige Kommissar Hagen Bötzow (Andreas Lust) angeschlossen, der nach einer Suspendierung vom Dienst gesellschaftlich abgerutscht ist. Sie alle kennen Vanessa gut, noch kurz bevor sie ermordet wurde, hatten sie gemeinsam getrunken.
Auf die Frage, warum die Hartz-IV-Empfängerin sich Schmuck und teure Kleidung leisten konnte, geben sie keine Antwort - das Wohlergehen des Babys liegt allen jedoch sehr am Herzen. Außerdem scheint fernab des prekären Milieus auch der exzentrische Musikmanager Jürgen Evers (Markus Hering), bekannt als „Hitmaschine von Konstanz“, in den Fall verwickelt zu sein.

Die Meinung
Ja, ist denn am 1. November schon Weihnachten? Dass die besinnliche Stimmung – Weihnachtsmarkt-Romantik und „Oh Du fröhliche“ inklusive – nicht zum Sendetermin dieses Films passt, ist einer der wenigen Kritikpunkte, die einem einfallen.
Womöglich war den ARD-Entscheidern der Fall zu dunkel, um den Zuschauern damit die Adventszeit oder – noch schlimmer – das Weihnachtsfest selbst zu versauen. Das wiederum wäre nachvollziehbar.

Aber Schluss mit Mäkeln... Insgesamt ist dem Team um Autor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog ein klassischer „Whodunit“-Krimi mit stringentem Spannungsbogen und überzeugenden Schauspielern gelungen. Ohne viel Schnickschnack – aber gerade deshalb spannend.
Ohne Angst vor fiesen Bildern – etwa schwarzen, totgefrorenen Zehen – führt der Film den Zuschauer in die Welt derer, die gar nichts mehr haben. Und das hat ausnahmsweise mal nichts mit Flüchtlingen zu tun.
Die Konstanzer Penner-WG mit dem selbstironisch-paradiesischem Namen ist eine Zweckgemeinschaft, wie sie zusammengewürfelter nicht sein könnte. Hier wohnt, wer nicht weiß wohin. Und dementsprechend verstehen sich die „Mitbewohner“. Nämlich gar nicht. Aber das ist immer noch besser als frieren. Diese Ambivalenz wird in schlauen Dialogen offengelegt.
Dazu kommt das Leiden des Kommissar P., der an seinem eigenen Fehler, der ein Kinderleben hätte kosten können, fast zugrunde geht. Sebastian Bezzel spielt das mit Verve – man sieht ihm förmlich an, dass er genießt, für seinen „Perlmann“ mal wieder etwas mehr Raum in der Story zu bekommen.

Alles in allem also ein gelungener Mitratefilm für alle Fans des „ganz normalen“ Tatort. Alle Fans, die über den Experimentier-Wahn im Lieblingskrimi der Deutschen mäkeln, dürfen diesmal jubeln. Und auch der Rest wird ein wenig brauchen, bis der Mörder erraten ist. Da stört auch das etwas konstruiert wirkende Motiv am Ende kaum.
Genauso wenig wie der weihnachtliche Soundtrack. Im Supermarkt gibt’s schließlich auch schon seit Anfang September Spekulatius...

 

– Bernd Peters, Kölner Express


Bodensee-Tatort

Mordende Weihnachtsmänner

Côte d’Azur. Da denkt man an Monaco, Nizza, Cannes und träumt von Sommerurlaub sonnenverwöhnt am Strand. Doch der neueste Konstanzer Tatort, der mit Côte d’Azur betitelt ist, räumt direkt mit den Assoziationen zur azurblauen Küste Südfrankreichs auf.

Stattdessen: Weihnachtsmarkt am Bodensee, Glühwein, Lagerfeuer und eine junge Frau, die in einer nebulösen Nacht besoffen ihr Baby mit einem Kinderwagen durch das Schilf am Rheinufer zieht. Kamerafahrt und Musik bauen eine Spannung auf, die nur ein Ende haben kann. Mord. Ein Weihnachtsmann legt mit einer Axt eiskalt die Frau um, das Kind lässt er friedlich im Wagen liegen und schreibt mit dem Handy der Ermordeten der Polizei eine SMS.

Schnell fällt der Verdacht auf eine Gruppe von wohnungslosen Aussteigern, die in einer Baracke namens Côte d’Azur am Rheinufer vagabundieren. Zu ihrer Überraschung treffen die Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) dort auf ihren alten, suspendierten Kollegen Hagen Bötzow Andreas Lust).

Steckt er etwa hinter dem Mord an der Frau? Es wird klar, dass die fünfköpfige Gruppe der Arbeitslosen und Drogenabhängigen einige Geheimnisse verstecken und untereinander auch häufig die Fetzen fliegen. Vor allem Franziska (großartig gespielt von Friederike Linke), die mit der Toten enger befreundet gewesen sein soll, geriet ins Visier der Ermittler.

Um was ging es beim Streit in der Hütte am Mordabend und wo ist der teure Ring, den die Ermordete vor ihrem Tod suchte? Über einen Dealer, der im Schatten des Konstanzer Konzils seine Kunden auf einer Parkbank versorgt, kommen die Bodensee-Ermittler auf eine heiße Spur.

Diese führt sie in die Villa der „Hitmaschine von Konstanz“, wie der Musikproduzent Jürgen Evers (Markus Hering) im Volksmund genannt wird. Kannte der omnipotente Macho die Frau von einer seiner wilden Partys und ist er sogar der Vater des kleinen Baby Alex, um dessen Überleben im Krankenhaus auch Kommissar Perlmann bangt?

Ein solider Konstanz-Krimi über Erpressung, Drogensucht, Loyalität und Verantwortung, den Autor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog zum Start in die Vorweihnachtszeit zeigen. Spätestens als die nicht verhafteten Mitglieder der Côte d’Azur-Gruppe an ihrem schief aufgestellten Tannenbaum „Oh du Fröhliche“ zum Besten geben, weiß der Fernsehzuschauer, dass er im November angekommen ist.

– Fabian Vögtle, Bonner General-Anzeiger


Zynische Ärzte, ratlose Ermittler: Ein Konstanzer Tatort im Elends- und Drogenmilieu.

Über der Tür steht „Cote d’Azur“, hinter der Tür hat eine Elends-WG zusammengefunden: ein Punk, ein alter, inkontinenter Wildwest-Zirkusartist, ein ehemaliger Maler, den der Drogentod seiner Tochter aus der Bahn geworfen hat, ein ehemaliger Polizist, der gewalttätig war und seinen Job verlor, als einzige Frau ein Junkie. Tagsüber sammelt man (an diesem Krimi-Sonntagabend bereits als Weihnachtsmann verkleidet) „für Orang-Utans“, abends versäuft man das gesammelte Geld. Kai Perlmann, Sebastian Bezzel, fremdelt gewaltig in dieser Umgebung. Klara Blum, Eva Mattes, versucht später, die junge Drogenabhängige in einem Substitutionsprogramm unterzubringen. Es ehrt diesen neuen Konstanzer „Tatort“ mit dem Titel „Cote d’Azur“, dass er in dieser Sache alles andere als ein Happy End andeutet.

Überhaupt lassen Wolfgang Stauch, Buch, und Ed Herzog, Regie, die Akteure kein Blatt vor den Mund nehmen. Besonders tut sich ein hässlich abgebrühter Kinderarzt hervor, nicht nur mit der Zusammenfassung: „Frau schwanger – Frau säuft – Kind gaga“. Er ist auch der Meinung, und hält damit keineswegs hinterm Berg (und nervt die Ermittler damit), dass das Kind ohne seine Mutter – 2,3 Promille, als sie starb – besser dran sein wird.

Das fünf Monate alte Baby der Alkoholikerin (regelmäßige Gastsäuferin in der Elends-WG) ist auch der Grund, dass Kai Perlmann und seine Chefin sich gehörig anmaulen, noch gehöriger als sonst. „Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell“, lautet eine SMS an die Polizei. Perlmann, zuerst vor Ort, schickt Beamte in die Wohnung der jungen Frau. Erst Blum versteht richtig: Das Baby ist im Schilf versteckt. Wird es einen bleibenden Schaden davontragen, weil Perlmann zu spät hat suchen lassen? Er scheint auch selbst die Befürchtung zu haben, denn er tut Buße: Nächtelang sitzt er im Krankenhaus neben dem Kleinen.

Man kann durchaus den Eindruck haben, dass es den „Cote d’Azur“-Machern eher um die Milieuzeichnung zu tun war als um die Krimihandlung.

OFFENSICHTLICHER KONTRAST
Denn müsste man sich nicht ums Handy kümmern, etwa bezüglich DNA-Spuren? Und wer überhaupt konnte den recht anspruchsvollen Text tippen? Müsste man den Verdächtigen nicht mehr als zweieinhalb Fragen stellen? Und nach möglichen Zeugen suchen? Andererseits sieht man doch auch gern mal Krimi-Szenen, in denen ein Ermittler bei einem Baby wacht oder eine junge Drogenabhängige mit einem alten Zirkusartisten tanzt.

Die Bemühung um Kontrast ist ein wenig zu offensichtlich, wenn dann auch noch „Die Hitmaschine von Konstanz“ (so eine Zeitungsüberschrift) ins Visier der Beamten gerät: Markus Hering spielt einen klotzig reichen, pseudolässig verwuschelten Musikproduzenten, in dessen Haus unerklärlicherweise stets junge Groupies – oder sind es Background-Sängerinnen? Haushälterinnen? Models für einen Videodreh? – im Schulmädchen-Look rumlungern. Beziehungsweise auf Plateausohlen herumstaksen. Die Tote war bei ihm auf einer Party. Und nicht nur das. Kommt also auch er noch als Papa in Frage?

Nicht zuletzt stellt dieser „Tatort“ die Frage, welche Karten einem Menschen bei seiner Geburt ausgeteilt werden – und mit welchen Folgen. Und wie es sein kann, dass sorgende Eltern nicht verhindern können, dass ihre Kinder doch immer wieder die falsche Abbiegung nehmen. Auch sorgende Kommissarinnen können das im Übrigen nicht verhindern.

„Tatort: Cote d’Azur“, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr. 

– Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau


TV-Tipp des Tages: "Tatort: Côte d'Azur", 1. November, 20.15 Uhr im Ersten
In einem Schilfgebiet findet die Polizei die Leiche einer jungen Mutter, neben ihr ein lebendes, halberfrorenes Baby. Die Ermittlungen führen Kommissarin Blum und ihren Kollegen Kai Perlmann zu einer Obdachlosenbaracke am Bodensee-Ufer, auch „Côte d’Azur“ genannt, wo sich das Opfer bis zu seinem Tod aufgehalten hat.
Im Sommer sind Klima und Stimmung am Bodensee durchaus mediterran, aber wenn man weiß, dass dieser "Tatort" im tiefsten Winter spielt, kann der Titel allenfalls ironisch gemeint sein. Tatsächlich handelt es sich bei "Côte d'Azur" um den Namen einer Behausung am Seerhein, in der sich allerlei Treibgut des Lebens eingefunden hat: fünf verkrachte Existenzen unterschiedlichen Alters, vier Männer und eine junge Frau, die irgendwann aus der Bahn geworfen worden sind. Darstellerisch ist derlei immer eine Herausforderung; an der überzeugenden Verkörperung von Obdachlosen oder Sozialhilfeempfängern sind schon ganz andere Schauspieler gescheitert. Gerade in den Nebenrollen sind die Krimis aus Konstanz oft etwas unglücklich besetzt, aber in diesem Fall haben die Verantwortlichen eine gute Auswahl getroffen. Das mussten sie auch, denn weite Teile der Handlung spielen sich in der Bretterbude am Ufer ab: Vermutlich ist einer der fünf ein Mörder. Hätten diese Szenen nicht überzeugt, hätte der ganze Film nicht funktioniert. Gerade die junge Friederike Linke macht ihre Sache als Junkie-Mädchen ausgezeichnet; auch Andreas Lust und Peter Schneider spielen ihre Rollen glaubwürdig.

In der Vergangenheit scheiterte der Bodensee-"Tatort" oft an uninteressanten Geschichten oder einer betulichen Umsetzung; manchmal auch an beidem. Ed Herzog hat hier bislang zweimal Regie geführt; gerade der Internatskrimi "Herz aus Eis" (2009) lag weit über dem Durchschnitt, und "Die schöne Mona ist tot" war ebenfalls ein guter Krimi. Bei "Côte d'Azur" sorgen Herzog und sein Kameramann Andreas Schäfauer schon mit dem fesselnden und kunstvoll gefilmten Auftakt dafür, dass man gleich drin ist im Film, als eine junge Frau in einer Winternacht kurz vor Weihnachten einsam durchs Schilf wandert und schließlich erschlagen wird. Es dauert nicht lange, bis die Polizei den Bezug zu der kleinen Gruppe findet: Die Frau war regelmäßig "Saufgast" in der Hütte; mit einigen der Männer hat sie wohl auch mehr als nur die Flasche geteilt.

Drehbuchautor Wolfgang Stauch, der schon sechs Krimis für Herzog geschrieben hat (darunter neben der "Schönen Mona" auch dreimal für die ZDF-Reihe "Unter Verdacht"), ergänzt die Mördersuche um ein weiteres Element, das den Krimi um eine wichtige emotionale Ebene erweitert: Das Opfer war nicht allein unterwegs. Die Polizei wird durch eine von ihrem Telefon post mortem verschickte SMS auf den Mord hingewiesen: "Ich bin tot. Kümmern Sie sich um mein Baby." Diese Botschaft führt dazu, dass die Atmosphäre zwischen dem Ermittlerduo Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebstian Bezzel) der Jahreszeit entsprechend ausgesprochen frostig ist: Während Perlmann einige Beamte in die Wohnung der Frau geschickt hat, damit sie sich des Babys annehmen, ahnt die Hauptkommissarin intuitiv, dass das Kind irgendwo im Schilf verborgen ist. Tatsächlich wird es schwer unterkühlt gefunden; sollte es nicht überleben, wäre dies das Ende von Perlmanns Laufbahn.
Stauch und Herzog nutzen diesen Erzählstrang für eine Dramatisierung der Geschichte, die mitunter fesselnder ist als die Mördersuche: Natürlich wird Perlmann von Schuldgefühlen geplagt, weshalb er immer wieder am Bett des Babys wacht. Außerdem führt die Nebenhandlung zu einigen Kurzauftritten eines Kinderarztes, der den Kommissar regelmäßig mit kernigen Kommentaren schockiert; eine kleine, aber feine Rolle für Barnaby Metschurat, der den Doktor mit einer reizvollen Mischung aus Arroganz, Empathie und Kaltblütigkeit verkörpert. Eine weitere Gastrolle hat Markus Hering als erfolgreicher und ständig von Groupies umschwirrter Konstanzer Musikproduzent, der zunächst jede Verbindung zu der toten Frau leugnet, bis sich rausstellt, dass sie ihm einen wertvollen Ring geklaut hat; und er der Vater des Kindes ist. Darüber hinaus erfreuen Buch und Regie immer wieder durch beiläufig einstreute witzige Details. Davon abgesehen ist der Krimi jedoch alles andere als ein herzerwärmendes Weihnachtsmärchen.

– Tilmann P. Gangloff, evangelisch.de


Ein Josef ist ebenso wenig zu sehen wie eine Herberge. Durch die Nacht zischt kein Stern für drei Könige, sondern eine Axt

Es weihnachtet in "Konschtanz", nicht sehr, aber ein bisschen. Da holpert ein Kinderwagerl mitsamt alkoholisierter, in einen silbernen Hauch von Nichts gehüllter Mutter durchs nächtliche Niemandsland. Ein Josef ist ebenso wenig zu sehen wie eine Herberge. Durch die Nacht zischt kein Stern für drei Könige, sondern eine Axt.

Diese wird im Laufe der folgenden eineinhalb Stunden das Ermittlerduo Klara Blum und Kai Perlmann in der Frage entzweien, ob es eigentlich brutaler sei, ihre stumpfe oder ihre scharfe Seite für einen Mord zu verwenden. Es ist eines der letzten Probleme, denen sich Eva Mattes und Sebastian Bezzel stellen müssen, bevor der Bodensee-Tatort 2016 ausläuft.

Den aktuellen als abgedrehte Variation der Weihnachtsgeschichte zu lesen ist indes eher eine freiwillige Übung. Das Fest der Liebe mit seinem rötlichen Kitsch liegt zwar in der Luft, ist aber keine echte Lösung. Das legt schon der bläuliche Titel nahe: Côte d’Azur.

So nennt sich ein Bretterverschlag unter der Brücke, der einer Gruppe von Obdachlosen als Unterschlupf dient, dem Punk in der zweiten Generation ebenso wie dem Ex-Zirkusartisten. Und dorthin – wo die Herzen oft weicher sind als die Umgangsformen – führen weiße Barthaare und rote Stofffasern die Ermittler zunächst. Der dortige Rauschmittelkonsum erschwert deren Arbeit, ist diesmal aber das geringere Problem.

Dass Drogen jedoch ebenfalls keine Lösung sind, hat Re gisseur Ed Herzog mit einer recht eindringlichen Verbildlichung des Entzugs deutlich gemacht. Schöner anzuschauen ist die Zerrissenheit Mattes’ zwischen mütterlichen Gefühlen und ermittlerischer Strenge der bedauernswerten Süchtigen gegenüber. (Roman Gerold, 31.10./1.11.2015)

– Roman Gerold, Der Standard


Fernsehen Im "Tatort" ist schon Weihnachten: Eine junge Frau wird erschlagen – von einem als Weihnachtsmann verkleideten Täter. Doch dieser Konstanzer Fall ist alles andere als besinnlich, er bringt seine Zuschauer immer wieder an ihre Belastungsgrenze. Diese Grenze überschritten haben die beiden Kommissare längst: Blum und Perlmann können nur noch mit Mühe und Not zusammenarbeiten.


Die Story
Die nächtliche SMS, die die Polizei zur Leiche der jungen Mutter Vanessa Koch am Konstanzer Rheinufer führt, kam wahrscheinlich von ihrem Mörder. Kai Perlmann übersieht den Hinweis auf den Säugling der Ermordeten, der in der Dezembernacht abseits im Schilf zurückbleibt. Nur dank Klara Blums Geistesgegenwart gelingt es, das halb erfrorene Baby zu finden und in ein Krankenhaus einliefern zu lassen. Ob es überleben wird, ist ungewiss. Die Ermittlungsspuren führen die beiden Kommissare in eine heruntergekommene Baracke, die den ironischen Namen „Côte d’Azur“ trägt. Darin findet eine Gruppe Obdachloser Unterschlupf. Franzi, Urs, Lucky und Bill kämpfen dort mit billigem Wein gegen die Winterkälte an – das Geld dafür verdienen sie im Weihnachtsmannkostüm mit Klingelbüchsen für „gefährdete Orang-Utans“.

Ihnen hat sich auch der ehemalige Kommissar Hagen Bötzow angeschlossen, der nach Suspension vom Dienst gesellschaftlich abgerutscht ist. Sie alle kennen Vanessa gut, noch kurz bevor sie ermordet wurde, hatten sie gemeinsam getrunken. Auf die Frage, warum die Hartz-IV-Empfängerin sich Schmuck und teure Kleidung leisten konnte, geben sie keine Antwort – das Wohlergehen des Babys liegt allen jedoch sehr am Herzen. Außerdem scheint fernab des prekären Milieus auch der exzentrische Musikmanager Jürgen Evers, bekannt als „Hitmaschine von Konstanz“, in den Fall verwickelt zu sein.

Die Story hinter der Story
Die selbstorganisierte Parallelgesellschaft der Obdachlosen-Gemeinschaft mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen im Kontrast zur Konstanzer High Society.

Was taugt das Drehbuch?
Der neue Konstanzer „Tatort“ ist wie der letzte Fall von Blum und Perlmann vor allem eins: düster. Die Bilder sind blau-grau und die Stimmung durch und durch kalt. Dennoch ist „Côte d’Azur“ härter und besser als sein Vorgänger und schont sein Publikum nicht: psychische Abgründe, Dreck, abgefrorene Zehen und zitternde, grüne Galle spuckende Menschen auf Entzug. Die Geschichte des Säuglings Alex dürfte viele Zuschauer darüber hinaus an ihre Belastungsgrenze bringen. Der Film schafft eine durchgehend aggressive Stimmung – sowohl zwischen den Kommissaren als auch zwischen den Obdachlosen, die durch eine Hassliebe verbunden sind. Sie bedrohen sich, greifen einander wegen fünf Euro an und bleiben trotzdem zusammen. Besonders ist in diesem „Tatort“ vor allem auch die Kameraführung: Die Protagonisten schauen in den Dialogen immer wieder direkt in die Kamera, was an eine Kammerspielfim-Inszenierung erinnert, und am Ende stehen sie wie im Theater nebeneinander, schauen ins Publikum und verabschieden sich mit einer traurigen Version des Weihnachtsklassikers „Oh du Fröhliche“.

Sind die Ermittler in Form?
Der Fall zerrt an den Nerven des Ermittler-Duos: Perlmann wacht stundenlang neben dem schwerkranken Baby, Blum hingegen sitzt neben der inhaftieren, rasenden Drogensüchtigen. Die Stimmung zwischen den beiden ist gereizt und der Ton wird zunehmend schärfer – es wird Zeit, dass sie ihren Dienst wie angekündigt bald quittieren.

Mit diesen Hintergrundinfos können Sie punkte
Der „Tatort: Côte d’Azur“ war 2015 beim Filmfest Hamburg für den Hamburger Produzentenpreis für Deutsche Fernsehproduktionen nominiert.

Der Satz zum Mitreden
„Frau schwanger, Frau säuft, Kind gaga. ‚Tschuldigung, manchmal rutscht mir sowas raus.“ (Der Kinderarzt zu Kai Perlmann)

Eher peinlich
Der erste völlig überzeichnete Auftritt des Musikmanagers, der schnell zum Verdächtigen gerät. In seiner Wohnung hängen Mädels im Schulmädchen-Dress herum und er sagt Sätze wie: „Dann geh doch zu Bohlen, wenn du glaubst, dass der dir das Singen beibringen kann.“ Oder: „Den Ausgang triffst du leichter als deine Töne.“

Offene Fragen
Warum geht die junge Frau nachts allein mit ihrem Baby in einem winzigen Kleidchen durch ein vollkommen verlassenes Feld?

Fazit
„Tatort: Côte d’Azur“ ist ein beklemmender Film, der seinen Zuschauer von Anfang bis Ende fesselt – und immer wieder verletzt. Schade, dass noch zwei weitere Fälle von Blum und Perlmann ausgestrahlt werden. Dieser wäre ein würdiger Abschied gewesen

Einschaltempfehlung (auf einer Skala von 1 bis 10): 9

– Nora Burgard-Arp, meedia.de


Konstanz. Es ist eine kleine Nachlässigkeit, die Kommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) im neuen Bodensee-“Tatort“ erheblich an sich selbst zweifeln lässt. Am Rheinufer wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, doch Perlmann übersieht Hinweise auf das sechs Monate alte Baby der Ermordeten, das abseits im Schilf zurückgelassen wurde. Als die Polizei den Säugling endlich entdeckt, ist er halb erfroren. „Ich hab eigentlich nie an Dich geglaubt“, sagt der Kommissar, als er später am Krankenhausbett des Babys sitzt und zu einem Kreuz aufblickt. „Aber jetzt brauch’ ich Deine Hilfe.“ Das „Erste“ zeigt „Côte d’Azur“ am Sonntag um 20.15 Uhr.

Selbstzweifel und Schuldgefühle
Die Ermittlungen in dem Mordfall führen Perlmann und seine Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) zu einer Gruppe Obdachloser. Sie haben in einer heruntergekommenen Baracke mit dem Namen „Côte d’Azur“ Unterschlupf gefunden, die auch die ermordete Vanessa Koch öfter besuchte. Die Bewohner hatten alle mit dem Mordopfer zu tun - allen voran der ehemalige Kommissar Hagen Bötzow, der nach Gewaltdelikten vom Dienst suspendiert wurde und seitdem den Halt in seinem Leben verloren hat. Ein weiterer Verdächtiger ist der Musikproduzent Jürgen Evers, dem Vanessa offenbar einen teuren Ring gestohlen hatte.

Neben den Ermittlungen sitzt Perlmann nachts stundenlang am Bett des kranken Säuglings, liest ihm vor, bangt um das Leben des Kindes. Und nicht nur Selbstzweifel und Schuldgefühle plagen ihn: Auch das Verhältnis zu seiner Kollegin ist zunehmend schwieriger, sie geraten immer wieder aneinander. „Entspann Dich einfach, Perlmann“, sagt Blum genervt zu ihm. Seine Antwort: „Frau Blum, Sie haben ein Problem mit mir. Ich habe ein Problem mit mir. Wie soll ich mich da entspannen?“ Generell ist der Ton im Tatort dieses Mal härter, gröber: Es fallen Wörter wie „Arschloch“ oder „Großkotz“, und gerade in der Gruppe der Obdachlosen scheint die Aggression jederzeit hervorbrechen zu wollen.

Hinter dem Bodensee-“Tatort“ steckt erneut das Duo aus Regisseur Ed Herzog und Drehbuchautor Wolfgang Stauch. Wie schon in der Folge „Die schöne Mona ist tot“ aus dem Jahr 2013 gelingt es den beiden, das Geschehen in eine eindringliche, passende Atmosphäre zu stecken: Die Farben sind matt, das Licht fahl und über dem Bodensee hängt der Nebel. Sie spiegeln die Gefühle der Bewohner in der „Côte d’Azur“: enttäuschte Hoffnung, verlorene Zukunft, Trauer, Scham, Wut.

Und darüber scheint sich bereits jetzt ein Hauch von Melancholie auszubreiten: 2014 hatte der SWR angekündigt, den Bodensee-“Tatort“ im kommenden Jahr auslaufen zu lassen. Man habe die Entscheidung gemeinsam mit den Hauptdarstellern getroffen, hieß es dazu. „Nach vierzehn erfolgreichen gemeinsamen Jahren der beiden großartigen Schauspieler und des Senders mit dem Tatort aus Konstanz werden wir uns dann von ihm verabschieden.“ Im kommenden Jahr werden nach Angaben eines SWR-Sprechers noch zwei Folgen ausgestrahlt. Im Umfang des bisherigen „Tatort“-Krimis vom Bodensee soll zudem ein neuer produziert werden. Wo er spielen soll, stehe noch nicht fest, so der Sprecher.

 

– Kathrin Drinkuth, der westen.de / WAZ


Kurz vor dem Fest der Liebe schlägt ein Weihnachtsmann zu: Eine Mutter liegt tot im Schilf, ihr Kind überlebt nur knapp. Der neue „Tatort – Côte d’Azur“ vom Bodensee ist gut gefilmt, schwarzhumorig, aber gegen Ende geht ihm die Luft aus.

Stuttgart - Das Christkind steht vor der Tür. Es ist die Zeit der Weihnachtsmänner. Die treiben sich, vier Mann und eine Frau hoch, auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt herum und sammeln für „notleidende“ Orang-Utans. Mit ­Affen allerdings hat die Aktion nur insofern zu tun, dass die Kuttenträger sich mit der Kohle besaufen werden.

Ihnen ist nicht zu trauen, diesen Weihnachtsmänner, die versuchen, in einer Côte d’Azur genannten Bretterbude über den Winter zu kommen. Manchmal stapfen sie in ihren roten Mänteln komisch durchs Bild, aber eigentlich sind sie tragische Figuren – und einer von ihnen ist wohl ein Mörder. Er hat die alleinstehende Vanessa (Mandy Rudski) mit einer Axt erschlagen.

Die Mordszene gleich zu Beginn dieses ­Bodensee-„Tatorts“ ist packend in Szene gesetzt von Regisseur Ed Herzog und Kameramann Andreas Schäfauer: Wir sind ganz dicht bei der Mutter, die alkoholgeschwängert mit ihrem Kinderwagen durchs hohe Schilfgras torkelt. Sie rennt um ihr Leben, aber noch mehr um das ihres Kindes. Wenn der Weihnachtsmann ausholt, trifft auch den Zuschauer der Schlag.

Was dann folgt, hat mit Action nichts, aber mit Kammerspiel und Psychostudie viel zu tun (Buch: Wolfgang Stauch), zumal auch die Kommissare Blum (Eva Mattes) und Perlmann (Sebastian Bezzel) nicht gut aufeinander zu sprechen sind. Die Chefin wirft ihrem Kollegen vor, dass er nicht rechtzeitig nach dem verschwundenen Säugling suchen ließ und sich der Sicherung der Spuren hingab. Perlmann weiß, was es verbrochen hat, gibt es aber gegenüber seiner Chefin nicht zu. Er sitzt­ ­lieber reumütig am Kinderkrankenhausbett und sucht, so anrührend wie komisch, das Gespräch mit dem lieben Gott.

Überhaupt, der Humor, der darf in diesem düsteren Krimi nicht unerwähnt bleiben, meist ist er kohlrabenschwarz. Der ­Regisseur weiß, was er dem Darsteller Bezzel zutrauen kann (und nicht nur diesem), mit dem er auch die herrlichen Krimikomödien „Dampf­nudelblues“ und „Winterkartoffelknödel“ gedreht hat. Als Perlmann hört, dass das Mordopfer von Harz IV gelebt hat, genauso wie die Mutter, sagt er trocken: „Da wird ­Familientradition ja noch großgeschrieben.“

Das sind Lichtblicke in dieser auch schauspielerisch gut besetzten TV-Produktion, die allerdings eines nicht vermag: bis zum Schluss zu fesseln.

Der Bodensee-„Tatort“ des SWR ist ein Auslaufmodell. Im kommenden Jahr werden noch zwei Folgen ausgestrahlt. Aber so richtig mag nach der Folge „Côte d’Azur“ keine Trauer wegen des nahenden Abschieds aufkommen. Blum und Perlmann wirken wie ein in die Jahre gekommenes Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat.

– Tom Hörner, Stuttgarter Nachrichten


Wer hätte das gedacht: Der sonst so lahme Konstanzer Tatort überrascht bei "Côte d'Azur" (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) mit einem ungewohnt witzig-zynischen Fall im Clochardmilieu

Irgendwann reicht es Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes): "Weißt du was? Du gehst mir echt auf den Sack!", herrscht sie Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) im neuen Konstanzer Tatort "Côte d'Azur" - nach dem letzten Tatort "Château Mort" wieder ein frankophiler Titel - an. Und an diesem Punkt kann man endlich mal aufatmen: Perlmann, schon immer der spannendere der beiden Ermittlercharaktere, kann sich aus den Klauen der muttihaften Glucke befreien. Wurde ja auch Zeit.

Zeit wurde es auch, dass sich der konstant schwächelnde (Wortspiel!) Konstanzer Tatort ein wenig nach oben arbeitet, viel Zeit bleibt den Ermittlern nicht - im nächsten Jahr soll der Bodensee-Tatort nach 16 Jahren auslaufen. Dicke Abschiedstränen wird ihnen wohl keiner hinterherweinen, in der ganz großen Liga konnte Konstanz jedenfalls nie mitspielen - Filme wie "Todesspiel" und "Château Mort" waren ja wohl eher Kandidaten für die Goldene Himbeere für den schlechtesten Tatort. Über die Gründe ließe sich spekulieren, aber sie scheinen zum einen in lustlosen Drehbüchern zu liegen, zum anderen auch in dem nervigen Charakter von Klara Blum, die mit bedauerndem Blick durch die Szenerie stolziert und wäschekörbeweise Betroffenheit ausschüttete. Keine Chance für Perlmann, der sich aus Muttis Schatten nie befreien konnte.

Das Muttihafte einer Frau Blum scheint Vanessa Koch (Mandy Rudski) völlig zu fehlen: Das Baby schreit, während sie sich vorm Spiegel schick macht und Champagner aus der Flasche säuft. Szenenwechsel, es ist Nacht, mit dem Kinderwagen läuft sie am Rand der Autobahn entlang, kurz darauf ist sie in der hell erleuchteten Nacht auf der Flucht - und wird vom Weihnachtsmann mit einer Axt erschlagen. Bei der Polizei trudelt eine SMS ein: "Ich bin tot." Man soll sich um das Baby kümmern. Pech für Perlmann, der das Kind bei der Toten zu Hause wähnt, obwohl es im bitterkalten Dezemberwald im Kinderwagen liegt. Glück für die Polizei: Statt Hubschrauber und Notarzt ist Dr. Schwenkner (Barnaby Metschurat) vor Ort, Chefarzt der Kinderklinik und Zyniker vom Herren. Während er um das Leben des Kindes kämpft und Perlmann um seine Reputation, führt die Spur an die "Côte d'Azur", ein Abrisshaus, in dem die Konstanzer Gestrandeten sich Nacht für zum kollektiven Gedächtnisverlust durch Alkoholkonsum treffen: unter ihnen Ex-Bulle Bötzow (Andreas Lust), Junkie Franzi (Friederike Linke), Scheiterhaufen Urs Hahn (Peter Schneider), Punk Lucky (Kai Malina) und der ehemalige DDR-Artist Bill, ein inkontinenter Clochard, den Franzi im vergangenen Jahr vor dem Erfrierungstod rettete und unter ihre Fittiche nahm. Allen gemein ist nicht nur der Suff, sondern auch die Überzeugung, Vater des Babys zu sein. Und einer von ihnen muss der Mörder sein. Oder war es etwa Jürgen Evers, die "Hitmaschine aus Konstanz"? Bei dessen Party hat sich die Ermordete ja auch herumgetrieben. 

Ein Weihnachtstatort Anfang November, der so viele plakative Elemente vereint, sollte zum Scheitern verurteilt sein - ist es aber nicht. Drehbuchautor Wolfgang Stauch erzählt eine Geschichte der Gefallenen, die er mit wohl dosierten zynischen Elementen würzt (Regie: Ed Herzog). Mögen die Charaktere großzügig überzeichnet sein, glaubwürdig bleiben sie doch. Und der Zynismus trieft nicht nur aus dem mitreißend gespielten Lucky ("Mein Vater war Punk, ich bin Punk, und wenn ich mal ein Kind habe, wird das auch Punk"), sondern auch aus dem Kinderarzt Schwenkner, der sich unverhohlen über den Tod der Mutter freut ("Frau schwanger, Frau säuft, Kind gaga"), sowie aus Perlmann, der mit Franzis Dealer (Mirco Kreibich) auf der Parkbank rumlungert ("Hi, ich bin der Kai von der Polizei") - und genau so verbissen in die Gegend starrt.

Eine humoristische Meisterleistung ist der Konstanzer Tatort zwar nicht, aber das Augenzwinkern funktioniert dennoch ganz gut. Oder ist der ganze Krimi etwa gar nicht witzig gemeint? Das würde zumindest erklären, warum Eva Blum die ganze Zeit so mitleidig guckt. Aber das tut sie ja immer.

Oliver Dietrich wartet immer noch sehnsüchtig auf einen Solo-Tatort nur mit Perlmann. Viel Zeit bleibt nicht mehr - ob er ihn noch bekommen wird?

– Oliver Dietrich, Potsdamer Neueste Nachrichten



Im Bodensee-Tatort geht es um Solidarität und Empathie

Klara Blum und Kai Perlmann haben ein Problem miteinander: Das ist nicht neu im "Tatort" vom Bodensee, aber in der Folge "Côte d’Azur", die die ARD am Sonntag sendet, spitzt es sich zu.

Perlmann (Sebastian Bezzel) hat einen Hinweis übersehen – oder falsch interpretiert –, der einem Baby fast das Leben kostet. Es ist der fünf Monate alte Sohn von Vanessa Koch, die die Polizei erschlagen am Konstanzer Rheinufer findet. Er ist nicht, wie Perlmann vermutet hat, in der Wohnung der Toten zurückgeblieben, sondern liegt halb erfroren in seinem Kinderwagen unweit der Leiche.

Perlmann leidet – und seine Chefin (Eva Mattes) sieht ungerührt dabei zu. Sie schreibt seine Fehlinterpretation sogar in den offiziellen Bericht. Perlmann kämpft – er sitzt stundenlang am Krankenhausbett des kleinen Alexander und bittet sogar Gott, an den er nicht glaubt, diesmal zu helfen.

Solidarität, Zusammenhalt, Empathie – das sind die Themen, um die es in diesem neuen "Tatort" – der sechsten Zusammenarbeit von Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog – geht. Zum einen spiegelt sich das in der Beziehung des Ermittlungspaares Blum/Perlmann wieder, zum anderen im Kreis der Verdächtigen, die Vanessa Koch kurz vor ihrem Tod noch gesehen und gesprochen haben. Es ist eine Gruppe von Obdachlosen, die in einer heruntergekommenen Baracke haust, der sie den Namen "Côte d’Azur" gegeben hat. Urs, Lucky, Bill, Hagen und Franzi sind eine merkwürdig verschworene Gemeinschaft, die einerseits füreinander einsteht, miteinander betteln geht, den Alkohol teilt – die aber auch ein tiefes Misstrauen prägt. Das freilich rührt daher, dass sie alle am Leben Gescheiterte sind und die Gesellschaft sie auch gedankenlos als solche behandelt.

Während Perlmann im Krankenhaus bei Baby Alexander Wache hält, sitzt Blum vor der Zelle in der U-Haft, in der Franzi sich mit dem kalten Entzug quält.

Es gibt wenig Bewegung in diesem "Tatort", dafür viel Enge, Düsternis, fahles Krankenhaus- und Gefängnislicht, Kammerspielatmosphäre. Niemand kann aus seiner aktuellen Lebensrolle heraus – auch, wenn oft davon gesprochen wird, was sein würde, wenn ...

Noch ein drittes Milieu hat Drehbuchautor Stauch ins Visier genommen: Die Welt des exzentrischen Musikmanagers Jürgen Evers, der Vanessa Koch vermeintlich nur flüchtig kannte. Auch in dessen Villa geht es um Solidarität, Zusammenhalt und Empathie – Evers kann es sich leisten, sich ausnahmslos mit loyalen Bewunderern zu umgeben.

Der logisch aufgebaute Krimi ist bis in die Nebenrollen gut besetzt, überzeugt durch differenzierte Schauspielleistung und sorgfältige Personenführung seitens des Regisseurs. Dass die dramatische Geschichte in der Weihnachtszeit spielt, lässt den Zuschauer die Nöte der Figuren noch stärker spüren. Besser nicht alleine gucken!

– Heidi Ossenberg, Badische Zeitung


Es ist gerade erst November, und aus dem "Tatort" ist schon die erste Sichtung eines Weihnachtsmannes zu vermelden. Er hat leider keine Geschenke mitgebracht, sondern eine Axt, mit der er einer jungen Frau in einer Böschung am Rheinufer den Schädel spaltet. Dann schreibt er eine SMS mit dem Handy des Opfers: "Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell." Der Kinderwagen mit dem Säugling steht in einem nahe gelegenen Waldstück herum. Es ist kalt.

"Côte d'Azur" ist der 29. Fall für Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes), der seit 24 Episoden ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) zur Seite steht. Allzu oft werden wir den beiden nicht mehr dabei zusehen können, wie sie am schönen Bodensee menschliche Abgründe ausleuchten. Der Südwestrundfunk hat angekündigt, sie 2016 in den Ruhestand zu schicken – leider ohne Begründung. An den Quoten kann es nicht liegen, die lagen in letzter Zeit immer stabil zwischen neun und zehn Millionen Zuschauern.

Diesmal steigen sie hinab in das Reich der obdachlosen Alkoholiker. Sie haben einen Treffpunkt am Rhein, eine Hütte mit dem traurigen Namen "Côte d'Azur". Ihr Strand sind ein paar schmutzige Kiesel unter einer Brücke. Bill, Urs, Lucky und Franzi. Saufkumpane am Rande der Gesellschaft.

In diesen Kreisen war das Opfer unterwegs. Aber warum trug sie am Abend ihres Todes ein Abendkleid? Wohin ist der teure Ring verschwunden, den man auf Fotos von ihr sieht?

Blum und Perlmann glauben nicht an einen Raubmord. Warum sollte sich der Täter dann Sorgen um das Kind gemacht oder auch nur von ihm gewusst haben? Es überlebt, wenn auch mit schweren Unterkühlungen.

Die Spur führt zu den Zechfreunden, die sich nebenher ohnehin als Weihnachtsmänner verdingen. Interessant ist der "Tatort" nicht wegen der Tätersuche. Regisseur Herzog und Autor Wolfgang Stauch gelingt ein differenzierter Blick auf ein Milieu, in dem Sucht und Freundschaft eine trostlose Partnerschaft eingehen.

– F.M., Hamburger Abendblatt


Die Wohnung verwahrlost, das Kind schreit vor Hunger. Die völlig überforderte Mutter zieht ihr neues Kleid an und macht sich mit ihrem Sohn auf den Weg. Wohin? Das weiß man nicht, denn bevor Vanessa Koch (Mandy Rudski) ihren Zielort erreicht, wird sie von einer Person in einem Nikolaus-Kostüm brutal ermordet. Die Spuren am Tatort führen die beiden Ermittler Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) in die Obdachlosen-Unterkunft Côte d'Azur. Dort war die junge Mutter vor ihrem Tod ein oft gesehener Gast. Die Gemeinschaft aus gescheiterten Existenzen erweist sich allerdings schnell als völlig unkooperativ. Doch Blum und Perlmann wären nicht das, was sie sind, würden sie so schnell das Handtuch werfen.

Die sechste gemeinsame Arbeit von Regisseur Ed Herzog und Drehbuchautor Wolfgang Stauch ist von Schuld und Sühne gekennzeichnet. Nicht zuletzt die Hintergründe der verschiedenen Obdachlosen geben Anlass zu diesem Schluss. Es ist ein «Tatort» am Rande unserer Gesellschaft. Eine Geschichte über unfreiwillige Ausgestoßene und freiwillige Außenseiter. Vereint werden die verschiedenen Figuren, wie so oft, durch den Alkohol. Und dies ist wohl auch die einzige Gemeinsamkeit der Figuren in «Côte d'Azur». Doch auch die Kommissare sehen sich in diesem «Tatort» mit neuen Problemen konfrontiert. Für Perlmann entwickelt sich der neuste Fall zu einer Gratwanderung und Klara Blum sieht sich um Laufe der 90 Minuten mit ihrem Gewissen konfrontiert.

Kameramann Andreas Schäfauer weiß «Côte d'Azur» gekonnt in Szene zu setzen und punktet mit einer düsteren Stimmung. Das Spiel mit Licht und Schatten zeigt nicht nur den Unterschied zwischen Schuld und Unschuld, sondern auch zwischen arm und reich, bessergestellt und ausgestoßen. Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Dies trifft auch hier zu, wenn Kai Perlmann scheinbar ins Nichts spricht, die nächste Einstellung allerdings einen gekreuzigten Jesus zeigt.

«Côte d'Azur» ist ein spannender Krimi, der bis zuletzt zu unterhalten weiß. Das liegt weniger an der Action, denn die ist quasi nicht vorhanden, als an der hervorragenden Charakterstudie. Zwar verläuft dieser «Tatort» in geregelten Bahnen – Twists oder Überraschungen gibt es nicht – allerdings tut dies dem Unterhaltungswert keinen Abbruch. Es sind die Abgründe der Menschen, die den Zuschauer an den Fernseher fesseln sollen. Und das gelingt den Machern hervorragend. Und offenbaren damit auch den Schwachpunkt von «Côte d'Azur». Irgendwann werden die verschiedenen Einzelschicksale so interessant und spannend, dass der eigentliche Mord in den Hintergrund rückt. Dieser wird folgerichtig auch relativ unspektakulär aufgeklärt. Was bleibt ist das Interesse an den Figuren. Wie geht es denn nun weiter mit Franzi, Lucky und Alex? Wir werden es wohl nie erfahren. 

Die Schauspieler leisten alle eine gute bis sehr gute Arbeit. Friederike Linke als drogensüchtige Franzi kann sich ordentlich austoben und auch Kai Malina als Punk Lucky macht seine Sache sehr gut. Es liegt wohl an der Art des «Tatorts», dass die, zuletzt etwas gescholtene Eva Mattes hier mit einem intensiven Mimenspiel überzeugt.

Fazit: «Tatort – Côte d'Azur» überzeugt mehr durch die eindringliche Charakterstudie, als durch den eigentlichen Fall. Trotzdem zieht auch der neuste Mord von Team Konstanz den Zuschauer in seinen Bann. 

– Alexander Scherb, Quotenmeter.de


Eine tote Frau und ihr halb erfrorenes Baby liegen am Seeufer. Sie war Stammgast im Obdachlosentreff, der von den galgenhumorigen Besuchern "Côte d'Azur" genannt wird. Blum (Eva Mattes) und Perlmann (Sebastian Bezzel) tun sich schwer, dieser desolaten, aber solidarischen Truppe Aussagen zu entlocken...
Ed Herzog (Regie) und Wolfgang Stauch (Buch) haben u. a. den famosen "Polizeiruf 110: Die Gurkenkönigin" fabriziert. Ein feines, mit Empathie gezeichnetes Figurenensemble zeichnet auch ihre sechste Zusammenarbeit aus (z. B. Friederike Linke als zornige Junkiebraut), nur ein paar "komische" Brüche und gefühlige Übertreibungen wirken leicht deplatziert.
Dass mit dem Bodensee-Team 2016 Schluss sein soll, ahnt man: Noch nie war das Klima im Kommissariat so frostig.

– TV Spielfilm


Eine junge Mutter, Hartz-IV-Empfängerin, wird ermordet, der Täter steckt in einem Weihnachtsmann-Kostüm. Der „Tatort – Cote d‘Azur“ ist ein warmherziger Sozialkrimi ohne falsche Zwischentöne. Wolfgang Stauch bietet dem Zuschauer einen klassischen Whodunit und mehr noch: Er erzählt von Menschen am Rande der Gesellschaft, jeder mit einer ganz eigenen Geschichte – ganz unten angekommen, in einer Obdachlosen-Barracke namens „Cote d‘Azur“. Der Autor arbeitet zum sechsten Mal mit Regisseur Ed Herzog zusammen. Das Ergebnis ist wie immer sehenswert: konzentriert erzählt, stimmig besetzt, spannend!

Im September liegen bereits die Lebkuchen im Supermarkt, der erste Glühwein wird ausgeschenkt. Weihnachten wird immer früher eingeläutet. Nicht nur im Geschäftsleben, sondern auch auf dem Bildschirm. Sagt sich zumindest die ARD. Denn das Erste wartet jetzt bereits am 1. November – Allerheiligen – mit einem Weihnachts-Tatort auf. So ermitteln Frau Blum und Kollege Perlmann in „Cote d‘Azur“ in Konstanz am Bodensee zwischen „Stille Nacht“ (zum Einstieg) und „Oh du Fröhliche“ (zum Finale) im Mordfall an einer jungen Frau.

Spannung zum Einstieg! Die Kamera treibt eine junge Mutter samt Kinderwagen nachts durchs Schilf. Dann ist sie tot, erschlagen von einem Weihnachtsmann. Zumindest trägt der ein solches Kostüm. Er schickt nach der Tat mit ihrem Handy eine SMS an die Polizei: "Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell." Kommissar Perlmann (Sebastian Bezzel) deutet das falsch, vermutet den kleinen Wurm in der Wohnung der Mutter. Ein fatales Missverständnis, das erst seine in den Morgenstunden herbeieilende Chefin Klara Blum (Eva Mattes) aufklärt. So wird die Kleine gesucht, gefunden und mit starken Erfrierungen vom Notarzt Dr. Schwenkner (Barnaby Metschurat) in die Klinik eingeliefert. Die Blum tadelt den Kollegen, die Ärzte kämpfen ums Überleben des Babys und Perlmann verharrt Stunde um Stunde am Bett des Buben, der den Namen Alex trägt. 

Die Ermittlungen führen das Südwest-Duo nicht an die Cote d‘Azur, sondern in die Cote d‘Azur. Ja. Denn so nennt eine Gruppe selbstorganisierter Obdachloser ihre notdürftig hergerichtete Barracke. Franzi (Friederike Linke), Urs (Peter Schneider), Lucky (Kai Malina) und Bill (Frank Fink) kämpfen dort mit billigem Wein gegen die Winterkälte an, das Geld dafür verdienen sie im Weihnachtsmannkostüm mit Klingelbüchsen für "gefährdete Orang-Utans". Zur Gruppe gehört auch der abgestürzte Ex-Kommissar Hagen (Andreas Lust). Alle kannten Vanessa gut. Bevor sie ermordet wurde, hatten sie noch gemeinsam getrunken. Warum die Hartz-IV-Empfängerin im Besitz von Schmuck und teurer Kleidung war, können sie sich alle nicht erklären. Die Gegenstände führen Blum und Perlmann bald zu dem exzentrischen Musikmanager Jürgen Evers (Markus Hering), bekannt als "Hitmaschine von Konstanz".

Was auf den ersten Blick wie ein Logikfehler aussieht – Mord und Hinweis auf Fundort der Leiche um ein Uhr nachts, Tatort-Besichtigung bei Tageslicht (im Winter also wohl gegen 8.00 Uhr) –, entpuppt sich schnell als dramaturgischer Kniff, um Kai Perlmann im neuen Bodensee-Fall eine besondere emotionale Herausforderung zu geben. Denn seine Fehldeutung der SMS bringt einem Baby beinahe den Tod. Ein gelungener Dreh von Drehbuchautor Wolfgang Stauch, der im weiteren Verlauf des Krimis einen klassischen Whodunit-„Tatort“ bietet. Er erzählt von Menschen am Rande der Gesellschaft, jeder mit einer ganz eigenen Geschichte – schließlich ganz unten, hier liebevoll „Cote d‘Azur“ genannt, angekommen.  

Der Autor spielt mit bekannten Bildern, ohne aber in eine schlichte Aneinanderreihung üblicher Sozial-Klischees zu verfallen. Diese Gestrauchelten haben Würde und zeigen soziales Verhalten, helfen sich gegenseitig – zumindest auf den ersten Blick. Der „Tatort – Cote d‘Azur“ ist die bereits sechste gemeinsame Arbeit von Stauch mit Regisseur Ed Herzog (drehte zuletzt die erfolgreichen bayerischen Krimikomödien „Dampfnudelblues“ und „Winterkartoffelknödel“). Das Duo hat schon beim „Polizeiruf 110 – Die Gurkenkönigin“, dem „Tatort – Die schöne Mona ist tot“ oder dem ZDF-Krimi „Unter Verdacht – Brubeck“ zusammengearbeitet. Herzog versteht es, das aufzunehmen, was Stauch anbietet. Und so findet der Regisseur passend-prägnante Bilder zu diesem Sozialdrama im Krimi-Gewand. Wenig Action, viel Nähe und Liebe zu den Figuren prägen diesen Bodensee-„Tatort“.

Das Ensemble ist stimmig, man verzichtet auf Starrollen, hat auf Augenhöhe besetzt. Das bringt bei der Tätersuche mehr Spannung. Die hält bis zum Ende. Macht Spaß, wenn man lange mit den Kommissaren im Dunkeln tappt, falsche Fährten angeboten bekommt und der Ausgang nicht vorhersehbar ist. Und Emotionen und Empathie gibt es reichlich in diesem Krimi. Zwei weitere Einsätze werden Eva Mattes und Sebastian Bezzel als Klara Blum und Kai Perlmann 2016 noch haben, dann ist Schluss. Mit dieser Folge sehnt man das Ende noch gar nicht so schnell herbei. Jahreszeitlich ein wenig zu früh angesiedelt bei der Erstausstrahlung, aber – wie gesagt – das Rennen um Weihnachten wird ja überall immer früher eröffnet.

– Roger Tell, tittelbach.tv