Tatort Stuttgart: Happy birthday, Sarah

Lannert & Bootz und in der Mitte die Mörderin Sarah Baumbach?© SWR / Stefanie Schweikert
Sender:SWR/ARD
Produktionsfirma:Maran Film, Sabine Tettenborn, Nils Reinhardt
Regie:Oliver Kienle
Redakteur:Brigitte Dithard, Manfred Hattendorf
Darsteller:Felix Klare, Richy Müller, Antonio Wannek, Britta Hammelstein, Ruby O Fee, Tobias Oertel, Patrick von Blume
Erstausstrahlung:01.12.2013

Beschreibung

Eine Story in zwei Stuttgarter Welten: Das satte Stuttgart der Erbengeneration, eine Art schwäbischer Will Freeman, dessen Vater allerdings nicht mit einem Weihnachtssong für alle Zeiten wohlhabend wurde, sondern, stuttgart-typisch, mit Keilriemen. Frank Schöllhammer - ein Mann mit Geld ohne Aufgabe.

Schöllhammer ('Der Hammer unter den Keilriemen') leitet die Schöllhammer Stiftung, die unter anderem ein Haus für Lower-Class-Jugendliche finanziert: Und in genau jenem wird ein Sozialarbeiter ermordet.

Die zweite Welt: Der Stuttgarter Hallschlag, Hartz IV, kein Geld, keine Aufgaben. Und ein Mädchen namens Sarah, das in den Mord an ihrem Betreuer involviert zu sein scheint ... und bald Geburtstag feiert.

Sarah-Darstellerin Ruby O. Fee erhielt für 'Happy birthday' den Jupiter in der Kategorie 'Beste weibliche Hauptrolle'

 

 


Rezensionen

Ruby O. Fee wirbelt den Stuttgarter "Tatort" auf

Die Kommissare Lannert und Bootz ermitteln im Neureichen-Milieu, treffen auf Verkommenheit allerorten. Sehenswert ist der "Tatort" wegen Jungstar Ruby O. Fee, deren Sarah Stuttgart aufwirbelt.

Kunstsammler, Kunsthändler haben ja in jüngster Zeit Rechtsanwälten und Journalisten in der Rangliste der übelbeleumdetsten Berufsgruppe mutig den Rang abgelaufen.

Alles Verbrecher, den Eindruck konnte man gewinnen, die sich an fremdem Eigentum bereichern, sich Bilder an die Wände hängen, die ihnen gar nicht gehören, vom Erbe der anderen leben.

Als da also in "Happy Birthday, Sarah", seinem 13. Fall, der Stuttgarter Kriminalhauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) fadenscheinig als Streetworker getarnt oben in Stuttgarts Neureichengürtel Halbhöhe durchs schicke Haus des reichen Fabrikantenerben, Kunstsammlers und –verkäufers Frank Schöllhammer streift und Bilder sieht, überall Bilder, Bilder, die in einen geheimen Raum gebracht werden – spätestens da weiß der gurlittgestählte Feuilletonleser und Fern-Seher, dass Sarah unschuldig ist. Sarah (Ruby O. Fee), die ganz unten lebt. Geografisch und gesellschaftlich.

Die Sehnsucht nach Familie

Schöllhammer gibt sich als Gutmensch. Er fördert – Teil des Erbes seines Vaters Klaus – eine Freizeitstätte für die Jugendlichen einer Gegend, die man Stuttgart gar nicht zugetraut hätte. In "Klaus' Haus" – einem malerisch bunt gesprayten Clubbunker – treffen sich die entwurzelten Kinder, die einsamen, die sich nach Familie sehnen, nach einem anderen Leben.

Kinder wie Sarah. Die wohnt im sozialen Brennpunkt. Bei ihrer Schwester und deren Lover, einem grenzdebilen Testosterontier, dessen Rottweiler sie beigebracht hat, Männchen zu machen, wenn man "Hallöle" sagt, was ein sehr lustiger Effekt ist. Vater sitzt im Knast, Mutter in der Klapse, der Bruder ist vor der Polizei auf Tauchstation gegangen.

Als eines Morgens ein Sozialarbeiter mit halb heruntergezogener Hose und eingeschlagenem Kopf ertränkt im Clubklo hängt, wird die rotzige, trotzigem sehr hübsche Sarah gleich verdächtigt. Sarah, die sich die Welt mit Musik auf den Ohren vom Leib hält, ihre Wirklichkeit nicht anders als anbellen kann und älter sein will, älter scheint, als sie ist.

Verdachtsmomente liegen förmlich in der Luft

Ruby O. Fee – der man dafür schon mal vorab den diesjährigen Nachwuchsfernsehpreis zusprechen möchte – wirbelt Stuttgart auf, wie es in Stuttgarter "Tatorten" ganz selten aufgewirbelt wurde. Wie Staubteilchen hängen die Plot-Elemente, die Verdachtsmomente in der Luft. Und immer wenn Sarah wieder vorbeistapft, vorbeitrotzt verändert sich die Atmosphäre, verändert sich die Lage.

"Tatort" -Routinier Wolfgang Stauch (Buch) und "Tatort"-Debütant Oliver Kienle (Regie) haben viele feine Fäden in diese Sozialstudie von einem "Tatort" gelegt: sexueller Missbrauch, Kinderpornografie, Unterschlagung von Stiftungsgeldern, gewöhnliche Beschaffungskriminalität, Beziehungstat.

Sie knäulen außerdem dramaturgisch ziemlich geschickt und ohne Reibungsverluste hinein, was "Tatorte" noch beinahe jedes Mal in den Orkus der Spannungslosigkeit reißt: das ausgedehnt immer wieder in den Fall lappende Doppelleben von Lannerts doppeltalleinerziehendem Kommissariatskollegen Sebastian Bootz (Felix Klare).

Muss man sehen. Nicht unbedingt allerdings, wenn man dem schönen Hobby des Kunstsammelns nachgeht. Ärgert man sich nur.
 

– Elmar Krekeler, Die Welt


Im Stuttgarter "Tatort" dreht sich alles um Sarah, ein Prekariatskind mit haselnussartigem Jungmädchenblick. Die Kommissare Lannert und Bootz ermitteln in einer Sozialgeschichte, angesiedelt zwischen den Extremen. Sehenswert ist vor allem die junge Darstellerin.

Ein Jugendclub, muffelige Gesichter in Großaufnahme, darüber liegt "Paint it black" von den Stones. Den Song hat die Hauptfigur im Ohr, sie heißt Sarah Baumbach, ist noch 13 Jahre alt und also nicht strafmündig. Das ist wichtig für die Geschichte. Sarah ist ein Prekariatskind. Sarah kombiniert Seidenunterwäsche mit Schlabberjogginghose. Sarah hat diesen haselnussartigen Jungmädchenblick, den man aus dutzenden Tatorten kennt, Erotik wird am Sonntagabend gern über Teenies transportiert, die Kaugummi kauen und "Fuck you" sagen.

Aber Sarah ist vielschichtiger als die gewöhnliche Eye-Catcherin. Ihre Darstellerin heißt Ruby O. Fee, und sie bringt sehr sehenswert Laszivität mit Wut zusammen, Durchlässigkeit mit Härte. Wenn je eine Rotz und Wasser geheult hat, dann diese hier.

Regisseur Oliver Kienle erzählt eine Sozialgeschichte, angesiedelt zwischen den Extremen. Hanglage und Höllenfeuer. Dort klimpern Eiswürfel im Glas, da kläfft ein Riesenhund in der Zweizimmerwohnung - der nur gehorcht, wenn ihm jemand Hallöle rüberschwäbelt. Ein Sozialarbeiter liegt tot auf dem Klo, den Kopf in der Toilettenschüssel.

Solch ein Tatort kippt schnell ins kalkuliert Betroffene, aber Kienle und Autor Wolfgang Stauch halten alles in der Waage. Sarah ist nicht nur verloren, sie ist auch voll Energie. Die Sozialarbeiter sind souverän genug, mit ihrem Image zu spielen. "Was sagt ein arbeitsloser Sozialarbeiter zu einem Sozialarbeiter, der Arbeit hat? - Eine Currywurst mit Pommes, bitte." Solche Herzlichkeiten werden beiläufig eingestreut, die Pointen sind behutsam gesetzt, wenn die Alten reden.

Und bei den Jungen klingt jede Zeile griffiger als das gesamte Skript der verzweifelt auf Jugendlichkeit gebürsteten Erfurt-Folge neulich. Im Verhör spricht Sarah über ihre Angst vor einem Mann: "Ich habe mich gefühlt wie im Film, wenn das Monster nochmal hochkommt."

Nur manchmal kriegt das Ganze etwas Bemühtes, wenn der alleinerziehende Kommissar Bootz die verlorenen Seelen im Jugendclub gedanklich in Beziehung setzt zu seinen eigenen Kindern. Aber Kollege Lannert, der alles gesehen und alles erlebt hat, spielt es weg. Gemeinsam streichen die beiden die Wände in Bootz' Wohnung und beweisen, dass Spurensicherungsklamotten nicht nur bei der Spurensicherung hilfreich sind. Auch das kann man sich ansehen.

– Holger Gertz, Süddeutsche Zeitung


Ein kaltes Stuttgart, eine bemerkenswerte minderjährige Verdächtige, ein alleinerziehender Ermittler und ein mitreißender Soundtrack: Wir sehen am Sonntag den besten Stuttgarter Tatort aller Zeiten.

Vielleicht werden TV-Kommissare einfach besser, wenn man sie ihres stabilen Familienlebens beraubt: Sebastian Bootz (Felix Klare), bisher eher blasser Spießer, war neben dem Kölner Freddy Schenk der letzte verbliebene Familienvater unter den Tatort-Kommissaren. Wir erinnern uns an den letzten Fall von Thorsten Lannert (Richie Müller) und Bootz, „Spiel auf Zeit“, der zu einer Gangstergroteske geriet und mit dem persönlichen Ehedrama von Bootz endete: An diesem Punkt setzt „Happy Birthday, Sarah“ an. Bootz ist jetzt alleinerziehender Vater im Wochentakt und hat die beiden Blagen für sich – unselbstständige, nervige Gören, vorwurfsvoll, anstrengend, kleine Mimosen. Ganz besonders Sohn Henry, der auch mal Papas Handy mit in die Badewanne nimmt: „Ist doch wasserdicht, oder?“ Na herzlichen Glückwunsch.

Doch diese Konstellation passt ganz gut zum Fall, der in einem Kinder- und Jugendhaus stattfindet. Sozialarbeiter Andreas Haber liegt mit einer Kopfwunde auf dem Frauenklo, das Gesicht im Porzellan – ertrunken. Aber warum hatte der Tote auch noch die Hosen heruntergelassen? „Wer hier Alkohol trinkt, fliegt – und zwar raus“ steht an der Wand des Hauses, aber ausgerechnet Haber hat eine Flasche Wein intus, als er in den Sanitäranlagen sein Leben aushaucht. Der Leiter der Einrichtung Sven Vogel (Tobias Oertel) verkörpert den fürsorgenden Sozialarbeiter mit Herz und Ohr für jeden, und ein Mord in seiner Einrichtung passt ihm natürlich gar nicht, weshalb er alle so schnell wie möglich raushaben will, bevor die Einrichtung in die Negativschlagzeilen gerät. „Wir haben hier einen Mord aufzuklären“, belehrt ihn Lannert. „Sie arbeiten mit den Toten. Ich mit den Lebenden. Was ist wichtiger?“, kontert Vogel. Immerhin ist das Haus, was aus den Mitteln einer Stiftung des verstorbenen Gönners Klaus Schöllhammer finanziert wird, fast pleite, und dessen Sohn (Patrick von Blume) ist ein zockender Kunstliebhaber: „Erbengeneration nennt man das. Wir schmeißen das Geld zum Fenster raus, was unsere Eltern mit Schweiß und Blut erwirtschaftet haben.“

Dreh- und Angelpunkt des Filmes ist Sarah (Ruby O. Fee), aufmüpfig, aber erstaunlich erwachsen – und aus zerrütteten Verhältnissen: „Mein Papa wohnt im Knast und meine Mutter in der Klapse.“ Und Vogels Angst vor Negativschlagzeilen scheint begründet: Es steht der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum, Sarah bezichtigt den Ermordeten. Die Kinder erzählen aber auch viel, und nicht immer die Wahrheit, heißt es resignierend im Haus. Und doch spricht alles dafür, dass Sarah Haber ermordet hat, als ihr dieser zu nah kam: Immerhin sind ihre Fingerabdrücke überall. Im Verhör knickt Sarah schließlich ein und gesteht den Mord.

Fall gelöst? Nicht ganz. Sarah ist zur Überraschung der Ermittler wesentlich jünger als gedacht, kurz vor ihrem 14. Geburtstag ist sie noch nicht strafmündig. „Wir können sie nicht verhaften. Wir dürfen gar nicht. Ob es Notwehr war, ist egal“, konstatiert Staatsanwältin Álvarez (Carolina Vera). Doch ganz so einfach scheint die Lösung doch nicht zu sein.

Und so trifft aufeinander, was nicht zueinander passen will: die potenziell kriminelle und desillusionierte Unterschicht aus dem sozialen Brennpunkt, die an einer chronischen Bullenallergie leidet, und das gute Gewissen der Gesellschaft, die Kümmerer – Sozialarbeiter und Ermittler im Gewand des Freund und Helfers. Der Schnittpunkt ist der vermeintliche Übergriff auf eine Minderjährige: „Was soll ich denn meiner Tochter sagen? Papa ist tot, aber das ist besser so?“, giftet Habers Ehefrau Lannert an. Aber was macht man mit denen, die man nicht erreicht? Sie lasse sich von niemandem erleuchten, sagt Sarahs Schwester Jeannette (Britta Hammelstein), sie wisse schon, wo es hinlaufe: „Fünf Euro die Stunde als Friseuse oder Krankenschwester.“ Das besorgt auch den überforderten Vater Bootz: „Du kommst noch in Teufels Küche“, warnt er. „Da koche ich jeden Tag Kaffee“, giftet Jeannette zurück.

Der Tatort (Buch: Wolfgang Stauch, Regie: Oliver Kienle) geht tief, ohne belehrend zu werden, aber auch ohne Lösungen anbieten zu müssen. Und für diese Intensität sorgt die Protagonistin Sarah, der man die Verzweiflung an der Schwelle zum Erwachsenwerden einfach abnimmt: Ihre Glaubwürdigkeit ist faszinierend. Eine so durchdachte Story hat dem Stuttgarter Tatort einfach gefehlt. Sehr sehenswert!

Oliver Dietrich hat oft genug über die Stuttgarter Ermittler genörgelt. Umso aufrichtiger freut er sich über dieses besondere Highlight aus dem Süden.

– Oliver Dietrich, Potsdamer Neueste Nachrichten


ARD-"Tatort" am Sonntag: Die neue Wucht der Schwaben

Hochkultur trifft Hochhaushölle. In Stuttgart ermitteln Lannert und Bootz bei einem Kunstmäzen, der Jugendliche aus Problemvierteln unterstützt. Ein grimmiger und überraschender Krimi, der den Stuttgart-"Tatort" aus seiner Erstarrung reißt.

Ein bisschen Spaß muss sein. Ein bisschen Bildung aber ebenso. Auch popkulturelle. Einmal die Woche lädt sich der lebenslustige Industriellenerbe und Kunstsammler Schöllhammer die Jugendlichen aus dem Jugendtreff eines Problemviertels in seine Villa. Es wird im Swimmingpool geplanscht, die halbwüchsigen Jungs blättern in Kunstbänden mit großbusigen Frauen, die Mädchen wühlen in der Classic-Rock-Plattensammlung des Hausherrn. So viel Spaß kann Erziehung machen.

Schöllhammers Vater hat in der Autostadt Stuttgart mit Keilriemen ein kleines Imperium aufgebaut, der Sohn legte das Familienerbe in solider bis obskurer Kunst an. Eine Stiftung gibt es auch, sie finanziert unter anderem den Treff, dessen Teenager regelmäßig bei Schöllhammer junior zu Gast sind. So auch in der Woche, in der es eigentlich nichts zu lachen gibt: Ein Sozialarbeiter wurde erschlagen auf der Mädchentoilette aufgefunden.

Ermittler Lannert mischt sich als Betreuer getarnt in die Gruppe, die den spendablen Kunstfreund besucht. Ihm fällt eine gewisse Nähe zwischen Schöllhammer (Patrick von Blume) und der Schülerin Sarah (Ruby O. Fee) auf; als er den Erwachsenen darauf anspricht, macht der aus der Anziehung keinen Hehl. Das Mädchen, so Schöllhammer respektvoll, habe aus seinem Bücherschrank mal eine Gesamtausgabe Dostojewski geklaut - und sonderbarerweise auch gelesen. Sarah ist die Hauptverdächtige in dem Mordfall. Aber kann eine 13-Jährige wirklich die Kraft und den Willen aufbringen, einen durchtrainierten Mann zu erschlagen? Zumindest der grimmige Blick des Mädchens lässt es möglich erscheinen.

Zwischen Erziehung und Ermittlerarbeit

Die "Tatort"-Folge "Happy Birthday, Sarah" spielt geschickt mit Klischees und Vorurteilen. Kraftzentrum sind der Erbe und der Kampf-Teen, einnehmende Charaktere, die jedoch über lange Zeit nicht ganz ausgedeutet werden. Hier der freigeistige Industriellensohn, bei dem man nicht recht weiß, ob seine Spendierlaune tatsächlich der reinen Kunst- und Menschenliebe geschuldet ist oder ob er einfach möglichst schnell das verhasste schwäbische Autozulieferer-Erbe verprassen will. Dort die hochintelligente Hochhausgöre in Leopardenshirt, die zwischen Desillusionierung und gefährlicher Schwärmerei schwankt.

Ein "Tatort", der gekonnt Hochkultur auf Hochhaussiedlung treffen lässt, der sich aber trotz aller plakativen Ausschmückung Zeit nimmt bei der Beobachtung seiner Charaktere und auch riskante Wendungen glaubhaft auserzählt. Drehbuchautor Wolfgang Stauch hatte schon Tiefe in den letzten Bodensee-"Tatort" gebracht, der erst 31-jährige Regisseur Oliver Kienle ("Bis aufs Blut - Brüder auf Bewährung") wagt inszenatorisch den einen oder anderen interessanten Move im so lange erstarrten Stuttgarter "Tatort". In der letzten, überraschend guten Folge mit Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) war ja auf einmal Bewegung gekommen.

Hintergrund: Schauspielerin Maja Schöne, die Bootz' Frau spielte, stieg aus, also wurde ihre Rolle über eine Trennung aus dem "Tatort" geschrieben. Kommissar Bootz wird Single bleiben und über die nächsten Folgen atemlos zwischen Erziehungspflichten und Ermittlungen hasten. Eine Entwicklung, die dem zuvor allzeit fröhlichen Bootz eine gewisse Grimmigkeit verleiht - und dem Plot eine Wucht.

Beste Szene: Die 13-jährige Sarah schlägt in der Mitte des Filmes im Revier auf und legt ein (unglaubwürdiges) Geständnis ab, dass sie den Sozialarbeiter ermordet hat. Die beiden Ermittler sind erst schockiert, lächeln dann aber nur jovial und fragen, wie sie denn, bitte schön, einen gut einen Kopf größeren Erwachsenen erschlagen und durch den Jugendtreff geschleppt haben will; das solle sie jetzt mal vormachen. Das Mädchen, unglaublich, aber wahr, tritt und rollt schließlich einen der Polizisten durch den Raum, bis sie ihn schließlich in die richtige Position gebracht hat.

Dostojewski, Alter! Wer die Gesamtausgabe des Finsterlings gelesen hat, dem ist alles zuzutrauen.

"Tatort: Happy Birthday, Sarah", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

– Christian Buß, Spiegel online


Totschmunzeln

Man kann den Stuttgart-„Tatorten“ mit den Fahndern Lannert (Richie Müller) und Bootz (Felix Klare) ­manches vorwerfen – aber durch ­feinsinnigen Humor sind die SWR-Produktionen ­bisher nicht aufgefallen. Ganz anders das im Sozialarbeiter­Milieu angesiedelte Drama „Happy Birthday, Sarah“ (Buch: Wolfgang Stauch, Regie: Oliver Kienle). Fast drängt sich der Verdacht auf, als wolle man dem Münsteraner Gespann Thiel/Boerne Konkurrenz machen, aber eben nur fast. Während in Westfalen die Komik über die Figuren funktioniert, regen im Süden vor allem Szenen und Nebensächlichkeiten vielleicht nicht zum Tot­lachen, aber doch zum Totschmunzeln an. Eben stiefeln die Polizisten in ihren Einweg-Overalls noch am Tatort Jugendhaus ­herum, wenig später streichen sie in den Überziehern Klares neue ­Wohnung.

Man könnte Dutzende solch subtil komischer Szenen anführen, aber ebenso wichtig ist, dass die Haupt­darsteller Müller und Klare in ihren Rollen angekommen sind. Es bereitet Vergnügen, diesen Ermittlern bei der Arbeit zuzuschauen, die sich auch von der Welt der ­Unterprivilegierten nicht ­vereinnahmen lassen.

Übrigens, der Mörder war nicht der Gärtner, sondern ein Sozialarbeiter, was man hätte ahnen können. Bereits in den ersten Minuten macht der Killer gegenüber dem Polizisten ­Lannert eine Bemerkung aus dem ­pädagogischen Handbuch des Grauens: „Sie arbeiten an den Toten. Ich an den ­Lebenden. Was ist wichtiger?“ Allein dafür hätte man den Typen verhaften müssen. (An dieser Stelle sei ganz ausnahmsweise eine Fußnote erlaubt: Mein Gott, endlich hat mal einer gemerkt, wie diese kurzen Dialogsätze gemeint waren! W.S.)

– Tom Hörner, Stuttgarter Nachrichten


Gar kein schöner Anblick: Ein Sozialarbeiter hängt im Jugendhaus mit dem Kopf in der Kloschüssel: Tod durch ständiges Spülen. Ein Geständnis haben Lannert und Bootz schnell. Aber ist die erst 13-jährige Sarah wirklich die Täterin?

Der neue Stuttgart -Tatort" auf der Anklagebank: Wer sind die Verdächtigen? Was wird ihnen zur Last gelegt? Machen die Ermittler einen guten Job? Am Ende steht das unbarmherzige Urteil: Ein- oder wegschalten?

Angeklagter: „Tatort - Happy Birthday, Sarah" (Stuttgart), Sonntag, 1. Dezember 2013, 20.15 Uhr im Ersten

Vorsitzende Richterin: FOCUS-Online-Autorin Marina Antonioni

I. Sachverhalt – Der Fall

"Das habe ich in der Art auch noch nicht gesehen", staunt selbst der Gerichtsmediziner. Ein Sozialarbeiter hängt mit dem Kopf in einer Kloschüssel. Andreas Haber starb, weil sein Mörder oder seine Mörderin ihn in einem Jugendhaus zunächst bewusstlos schlug und dann immer wieder die Spülung drückte, bis er ertrank. Die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) müssen in dem Treffpunkt für vernachlässigte Jugendliche ermitteln und haben schnell eine Verdächtige: Die erst 13-jährige und damit noch unmündige Sarah gesteht die Tat. Der Tote habe sie sexuell belästigt, sagt sie. Doch den Kommissaren kommen Zweifel: Deckt Sarah einen anderen Täter? Oder hat sie den Mord gar für eine andere Person begangen?

II. Beweisaufnahme – Die Ermittler
Lannert muss diesmal einiges allein stemmen und bringt sich dabei einmal in eine ziemlich brenzlige Lage. Sein Kollege Bootz ist mit seinen privaten Problemen beschäftigt und hat Sorge, seiner neuen Rolle als getrennt lebender Vater von zwei Kindern nicht gerecht zu werden. "In geraden Wochen bin ich Single, in ungeraden alleinerziehender Vater", eröffnet er Lannert. Und der erweist sich als echter Freund: Er nimmt Bootz in Schutz, als er bei einem Einsatz nicht erreichbar ist, weil der Sohnemann das Handy versenkt hat. Und er streicht sogar mit ihm - im weißen Polizei-Overall - die neue Wohnung von Bootz.

III. Zeugen – Die Nebenrollen
Beeindruckend spielt die Rolle der möglichen Täterin Sarah die junge Schauspielerin Ruby O. Fee (16). Sarah kommt aus bedrückend verkorksten Verhältnissen: Ihre ganze Familie war schon im Gefängnis. Aktuell muss sie in der heruntergekommenen Wohnung des ungemütlichen Freundes ihrer Schwester wohnen. Nicht nur der, auch der Leiter des Jugendhauses, Sven Vogel (Tobias Oertel), ist Lannert nicht wirklich sympathisch. "Sie arbeiten an den Toten, ich an den Lebenden, was ist wichtiger?", blafft Vogel ihn einmal an. Ebenfalls ins Visier der Ermittler gerät der reiche Erbe und Kunsthändler Frank Schöllhammer (Patrick von Blume). Er ist der Sohn vom Gründer des Jugendhauses und verprasst das Geld des Vaters - auch das Stiftungsvermögen.

IV. Plädoyer – Das Fazit
Vor allem die Geschichte von Sarah berührt. Sie gibt sich nach außen rotzfrech, kapselt sich innerlich aber ab, um ihr hartes Leben irgendwie zu überstehen. Stets hat sie die Kopfhörer ihres MP3-Players im Ohr und dröhnt sich mit lauter Musik zu. Auch der Zuschauer kann das aus Sicht von Sarah nachempfinden und bekommt Gespräche um sie herum irgendwann nicht mehr mit. Kurz vor Sarahs 14. Geburtstag - und dem Ende ihrer Strafunmündigkeit - spitzt sich die Situation zu: "Einen Schuss hat sie noch frei", so Lannert.

V. Urteil – Im Namen des Volkes
Einschalten lohnt sich: "Happy Birthday, Sarah" ist ein sehenswerter "Tatort" mit einer gelungenen Mischung aus Spannung, Humor und auch emotionalen Momenten.

– Marina Antonioni, FOCUS Online


Ein bisschen haben sie beim SWR offenbar zu den Kollegen nach Münster geschielt. „Happy Birthday Sarah“ ist trotz der ernsten Thematik überraschend leicht und unterhaltsam. Das war man von den Schwaben bisher so nicht gewohnt.

Zu „Paint It Black“ von den Rolling Stones dreht sich die Kamera um die 17-jährige Hauptdarstellerin Ruby O. Fee, in deren traurigem Gesicht sich das Elend einer verkorksten Kindheit spiegelt. Im „Tatort“ heißt sie Sarah Baumbach, 13 Jahre, frühreif, aufmüpfig aus kaputtem und kriminellem Hause. In der privaten Jugendeinrichtung „Klaus'Haus“ soll sie einen Sozialarbeiter niedergeschlagen und dann in einer Kloschüssel ersäuft haben - sagt sie zumindest selber. Die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) haben da allerdings so ihre Zweifel. Sie glauben, dass Sarah jemanden zu schützen versucht, schließlich ist sie wegen ihres Alters noch strafunmündig. „Happy Birthday Sarah“ ist ein stimmungsvoller, bewegender und stellenweise komischer Film über die Liebe und die Sehnsucht nach gesellschaftlichem Aufstieg.

Regisseur Oliver Kienle und Autor Wolfgang Stauch schicken ihre Ermittler in ein sozial schwaches und isoliertes Milieu. Sarah wohnt mit ihrer Schwester und deren gewaltättigem Freund in einer Hochhaussiedlung. Drohungen und Gewalt sind an der Tagesordnung. Dem Chaos und Geschreie entflieht Sarah, indem sie ihren iPod einstopselt und voll aufdreht. Auch der Zuschauer hört dann nur Musik, sieht die Umwelt abgeschottet aus den Augen des jungen Mädchens. Ihr einziger Vertrauter ist Frank Schöllhammer, dessen Stiftung das Jugendhaus eigentlich finanzieren sollte. Der reiche Erbe des Gründers von „Klaus'Haus“ lädt Jugendliche und Betreuer regelmäßig in seine Villa ein, umgarnt sie dort mit großer Geste. Die Kommissare vermuten, dass Schöllhammer, herrlich selbstverliebt und schlitzohrig von Patrick von Blume gespielt, die für das Jugendhaus bestimmten Stiftungsgelder kreativ in andere Bahnen lenkt.

Ohne große Brüche in der Handlung wird das neue Single-Dasein von Kommissar Bootz beleuchtet. Nachdem sich seine Frau in der letzten Folge von ihm getrennt hat, versucht er nun sein Leben neu zu organisieren. Die Rolle als Teilzeit-Vater auf Abruf mit seinem Beruf zu vereinbaren, stellt sich dabei als größtes Hindernis heraus.

Damit es zwischen Milieustudie und Liebesdrama nicht zu deprimierend und schwülstig wird, lockern kleine Gags die Handlung immer wieder auf. Schon der eingangs erwähnte Mord - ertränkt durch wiederholtes Betätigen der Klospülung - offenbart komödiantisches Potential. Bootz philosophiert in seinem Trennungsschmerz darüber, dass er seinem Nebenbuhler gerne eine reinhauen würde, was wegen dessen Behinderung aber „nicht politisch korrekt“ wäre. Der beste Schutz vor einem mordlüstigen Hund namens Rambo ist ihn mit einem „Hallöle“ zum Männchenmachen zu animieren. Und der gewalttätige Freund von Sarahs Schwester ist so unterhaltsam dämlich, als wäre er aus einem Reality-Format von RTL entliehen.

Angesichts der Thematik hätte sich dieser „Tatort“ leicht in Klischees verlieren können, doch bis auf ganz wenige Ausrutscher - etwa Lannerts Exkurs in die Sozialpädagogik oder das Treffen von Staatsanwältin Emilia Álvarez mit einem alten Bekannten - umschiffen die Verantwortlichen des SWR größere Peinlichkeiten.  Die sonst schon mal etwas bieder und steif daherkommenden Schwaben überraschen im 13. Einsatz von Lannert und Bootz mit einer bis zum Schluss spannenden und stimmigen Mischung aus Krimi und Sozial-Drama mit hervorragenden Hauptdarstellern.
 

– focus.de


Schöne Grüße nach Erfurt

Traditionelle "Tatort"-Kost, aber alles andere als altbacken und muffig - das gibt es auch noch.

Rolling Stones, Creedence Clearwater Revival. Hat man auch nicht oft: ein chronisch mies gelauntes Unterschichtengör aus der Sozialbauwohnung mit einem solch geschichtskundigen Musikgeschmack. Für Dostojewski, erfährt man später, soll sich Sarah Baumbach (Ruby O. Fee) auch interessieren. Vielleicht hat sie ja mal in "Schuld und Sühne" geblättert. Dann hätte sie eigentlich wissen müssen, dass ein Verbrechen den Täter auch dann nicht loslässt, wenn ihn der Arm des Gesetzes gar nicht erwischt. Weil Sarah mit ihren zarten 13 nicht strafmündig ist, kann sie tatsächlich nicht belangt werden für den Mord an einem Sozialarbeiter, den sie frei heraus einräumt. Das Geständnis nehmen ihr die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) allerdings nicht ab. Vertrackte Ausgangslage in einem "Tatort", mit dem der junge Regisseur Oliver Kienle die zuletzt recht aufgeheizte Debatte um den deutschen Sonntagskrimi eigentlich runterkühlen müsste. Und sei es nur für eine Woche.

Der "Tatort", was ist das eigentlich? Ein Freifahrtschein für einige der namhaftesten Darsteller und Filmemacher des Landes, nach Herzenslust vor einem garantieren Millionenpublikum zu experimentieren? Oder doch eine Traditionsmarke, die zu einer bestimmten Form verpflichtet - auch unter der Gefahr, dass das Ergebnis dann öfter mal zum Wegdösen ist? Oliver Kienle, Jahrgang 1982 und mit dem Kleinkriminellendrama "Bis aufs Blut" 2010 im Kino äußerst positiv aufgefallen, gehört offenkundig nicht zu denen, die den Sonntagskrimi neu erfinden wollen. Aber für verschnarchten Verbrecherfang nach alter Väter Sitte ist er einfach zu jung.

Nicht jede Figur in seinem Debüt-"Tatort: Happy Birthday, Sarah" ist bis ins Letzte schlüssig, nicht jede Wendung stichhaltig. Aber Tempo und Tonart stimmen in diesem spannungsgeladenen Film, der nach einem Drehbuch des Krimiexperten Wolfgang Stauch entstand.

Vor allem die jugendliche Titelheldin hat es einem schnell angetan in diesem energischen Ritt durchs schwäbische Prekariat. Für 13 hätte man das frühreife Früchtchen gewiss nicht gehalten. Und bei aller Durchtriebenheit: Den Mord an einem angeblich sexuell übergriffigen Sozialarbeiter mag man ihr gleich gar nicht zutrauen. Das Opfer wurde erst ohnmächtig geschlagen und dann in der Klospülung ersäuft. Von einer 13-Jährigen? So viel Fantasie haben die Stuttgarter Buddy Cops nicht. Vor allem Bootz nicht, der seit der Trennung von der Frau jetzt regelmäßig seine süßen Kinder alleine versorgen muss - beide nicht sehr viel jünger als die gerissene Gossenlolita aus dem Sozialbaukomplex.

Die Suche nach dem wahren Täter führt die Kommissare über nächtliche Zubringerstraßen, auf Parkhausdecks, in Stundenhotels und schmuddelige Hinterhöfe. Nicht das bürgerliche schwäbische Milieu, aber eines mit hohen Schauwerten. So lebt dieser "Tatort" auch weniger von der Sozialkritik (keine öffentlichen Gelder für den Jugendtreff!) als vielmehr von stimmiger Atmosphäre und zart dosiertem Humor.

Am schönsten: Die Schutzanzüge von der Tatortbesichtigung tragen die Kommissare wenig später beim Wändestreichen in Bootz' neuer Junggesellenbude - ein ganz gutes Sinnbild für einen schnörkellos inszenierten Fall mit ein paar frischen Farbtupfern drauf. Mit freundlichen Grüßen übrigens auch nach Erfurt, wo unlängst das leider nur an Lebensjahren jüngste "Tatort"-Kommissariat aller Zeiten aufgemacht hat. Wichtiger als junge Schauspieler vor der Kamera sind im Zweifel halt doch die unverbrauchten Köpfe dahinter.

– Jens Szameit, Teleschau / Weser-Kurier


"Happy Birthday, Sarah" im Kreuzverhör: Stuttgart in die Champions League

Heimlich, still und leise reihen sich die Stuttgarter Tatort-Kommissare mit "Happy Birthday, Sarah" zwischen den gehypten Kollegen aus Dortmund, Hamburg und Köln ein. Doch ohne verkrampfte Anspruchshaltung und übertriebenen Gestus zeigen die SWR-Ermittler hier, wie man einen richtig guten Tatort macht!

Worum geht’s?

Mit dem Kopf im Klo und heruntergelassenen Hosen wird ein Sozialarbeiter aufgefunden. Als Verdächtige geraten schnell die kriminellen Jugendlichen, mit denen der Tote gearbeitet hat, ins Visier von Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare). Allen voran die frühreife Sarah (Ruby O. Fee) scheint mehr zu wissen als sie zugibt.

Doch vieles ist nur Fassade: Frank Schöllhammer (Patrick von Blume), reicher Erbe und Gönner des Jugendhauses, ist offenbar pleite. Sven Vogel (Tobias Oertel), der engagierte Leiter der Einrichtung, wäre lieber gestern als morgen weg. Und auch Sarah ist viel mehr als eine gescheiterte Existenz. Zu alledem versucht sich Bootz nach seiner Trennung als alleinerziehender Vater – und greift bisweilen zu ungewöhnlichen Methoden.

Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?

Die Stuttgarter sind in Sachen Tatort ein bisschen wie ihr Fußball-Verein: Spielen nie ganz vorne mit, sind aber auch nur selten enttäuschend. Auch die Geschichte von "Happy Birthday, Sarah" klingt zunächst wie ein Tatort, den man x-Mal aus Ludwigshafen, Berlin oder Köln gesehen hat – inklusive Moralkeule. Doch Regisseur Oliver Kienle schafft es, kaum Langeweile aufkommen zu lassen oder allzu viele Entwicklungen vorausahnbar zu machen. Auch im Umfeld der Tatort-Hochkaräter spielt sich Stuttgart damit locker auf Champions-League-Niveau!

Ist die Handlung glaubwürdig?

Weitgehend ja. Bisweilen werden falsche Fährten gelegt, die auch am Ende noch offen sind. Doch das wird ja höchstwahrscheinlich bei den meisten echten Kriminalfällen auch so sein. Übers Ziel hinaus schießt dieser SWR-Tatort aber da, wo das Proll-Milieu gespielt wird: Wer Dostojewski liest, bezeichnet für gewöhnlich auch gegenüber dem extrem unterbelichteten Mitbewohner einen Gast nicht als "Mann, wo mich besuchen tut" – da passt etwas nicht zusammen. Außerdem unterliegt Stuttgart scheinbar extremen Wetterschwankungen. Mal versinkt die Stadt im Schnee, mal ist weit und breit keine Flocke zu sehen. Immerhin passt das Wetter einigermaßen zum Sendetermin.

Bester Auftritt

Hauptfigur Sarah wird von Ruby O. Fee eindrucksvoll gespielt, aber auch die kleineren Rollen sind gut besetzt. So etwa Britta Hammelstein als Sarahs nicht minder prollige Schwester – sonst spielt sie im Til-Schweiger-Tatort die etwas backfischartige Assistentin Ines Kallwey.  Alle Darsteller haben sichtlich Spaß an der Sache, auch das macht diesen Tatort so gut!

Was muss man sich merken?

Nachdem im letzten Stuttgarter Tatort die alte Fehde zwischen Lannert und dem Großkriminellen Victor De Man wieder mal aufgegriffen wurde, steht der Fall in "Happy Birthday, Sarah" diesmal für sich alleine. Dafür ist bei Sebastian Bootz einiges los: Nach der tränenreichen Trennung von seiner Frau ist er nun wieder Single und alleinerziehender Vater in Teilzeit. Die Kollision zwischen Polizeiarbeit und Kinder ins Bett bringen ist hier grade noch erträglich, im nächsten Fall darf es dann gerne etwas weniger Privat-Drama sein.

Soll man gucken?

Ja! Ein unaufgeregter, und gerade deswegen sehr guter Tatort. Mord, ein paar Verdächtige, eine Verfolgungsjagd, Showdown, Happy End – so soll ein Unterhaltungs-Krimi sein. Zwischen all den Tatort-Superlativen der letzten Zeit zeigen die Stuttgarter, wie man auch ohne Hype einen sehr guten Film machen kann! Als Sahnehäubchen obendrauf gibt es einen exzellenten Soundtrack mit einigen gut abgehangenen Rock-Klassikern!

– Tobias Weidekemper, Tatort-Blog


Im SWR-"Tatort" lauert der Tod auf dem Klo

Der Vorbericht zur dreizehnten Ausgabe aus Stuttgart - 27.11.2013 09:13 Uhr

NÜRNBERG  - Starker Tobak für die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz. Ein Sozialarbeiter wird in seiner Arbeit auf der Toilette ertränkt. Und auch sonst ist nicht alles nur heile Welt im badischen Ländle. Sonntag, 1.12. (ARD, 20.15 Uhr).

Keine hübsche Todesursache: Erst zusammengeschlagen, dann ertränkt in der Kloschüssel eines Jugendzentrums! Der, der den Löffel im neuen Stuttgarter „Tatort: Happy Birthday, Sarah“ auf so unschöne Weise abgeben muss, ist auch noch ein Sozialarbeiter, der sich selbstlos um vernachlässigte Jugendliche kümmerte. Und ausgerechnet eine 13-Jährige Ghettogöre soll die Täterin gewesen sein?

Schwer vorstellbar, was einem der Kriminalfilm von Regisseur Oliver Kienle nach dem Buch von Wolfgang Stauch da am kommenden Sonntag vorsetzt. Aber darum geht es nach nur wenigen Filmminuten eigentlich gar nicht mehr. Die rotzig-freche Hauptdarstellerin Ruby O. Fee zieht alle sofort in ihren Bann, und man möchte der 17-Jährigen, die im Film die 13 Jahre alte Unterschicht-Lolita Sarah Baumbach gibt, nur noch beim Spielen zuschauen. Und -hören: der Teenie dröhnt sich am liebsten mit geiler Mucke von den Stones, Prodigy, Massive Attack und Credence Clearwater Revival (Filmmusik: Heiko Meile) aus der Realität weg.
Kommissare sind auch da

Worum es im 13. Fall der Stuttgarter Kommissare geht? Denn die sind schließlich auch noch da: Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) sollen den Mord an besagtem Sozialarbeiter aufklären. Der hat sich um das frühreife Früchtchen ein wenig zu sehr gekümmert und seit einiger Zeit sexuell belästigt. Behauptet jedenfalls das Mädchen. Und so viel sei schon mal verraten: Auf der Toilette sind jede Menge Fingerabdrücke von ihr, und es gibt bereits nach 24 Minuten ein Geständnis. Doch leider greift der Arm des Gesetzes ins Leere: Sarah ist noch nicht strafmündig: Und muss wieder auf freien Fuß gesetzt werden, obwohl vieles darauf hindeutet, dass sie die Tat tatsächlich begangen hat, möglicherweise aus Notwehr.

Keine leichte Aufgabe für die schwäbischen Hüter von Recht und Gesetz. Besonders nicht für 'Papa Bootz', der gerade mit seinen eigenen Kindern ziemlich überfordert ist. Wir erinnern uns: In der letzten Folge servierte ihn die von familienfeindlichen Dienstzeiten und Dauerstress gefrustete Gattin wegen eines Anderen ab. Pech für Bootz, dass der Nebenbuhler körperbehindert ist und im Rollstuhl sitzt. So kann er ihm noch nicht mal eine `von Mann zu Mann´ reinhauen, was er im Grunde gerne möchte. Dass die eigene Tochter nur zwei Jahre jünger ist als die geständige Mörderin, belastet ihn zusätzlich …

Kollege Lannert hat's da einfacher: Er stülpt bloß den Kapuzenpulli über und macht einen auf jugendlich. Soll heißen, er ermittelt eine Weile undercover in der Zufluchtsstätte der Problemkids, die alle aus reichlich zerrütteten Verhältnissen stammen.

Und so führt die Suche nach dem wahren Täter das Buddy-Team quer durch die schwäbische Landesmetropole. In der ist weiß Gott nicht alles so heil, wie man meinen möchte: Der spendable Mäzen und Erbe von Beruf (Patrick von Blume), der den Jugendtreff finanziert, erweist sich bei genauem Hinsehen als ziemlich klamm. Obendrein hat er zu der „kleinen Schlampe Sarah“ ein auffällig freundschaftliches Verhältnis. Und wie tief steckt überhaupt Sarahs Proll-Sippe in der ganzen Sache mit drin?

Dass das kriminelle Unterschichten-Gör ist, wie es ist, hat jedenfalls mit der Lebensperspektive zu tun, die in diesem Umfeld nur sehr wenig Hoffnung auf Änderung lässt. Und dem „Tatort“-versierten Drehbuchschreiber Stauch ist mit seinem Clash of the worlds, dem Aufeinandertreffen zweier Welten, eine hervorragend düstere Milieustudie gelungen. Der es trotzdem nicht an einer Prise Humor mangelt. So ist ein Rottweiler mit von der Partie, der auf das Kommando „Hallöle“ Sitz und Männchen macht, statt einen Verfolgten zu zerfleischen. „Tatort“ auf Schwäbisch eben. Des glaubsch net!

– jos / Nürnberger Nachrichten / Nürnberger Zeitung


TV-Krimi. Stuttgart von seiner bitteren Seite: Bootz und Lannert suchen den Mörder eines Jugendsozialarbeiters

Zukunft? Sarah Baumbach (Ruby O. Fee) ist erst 13, leistet sich aber keine Träume mehr: Vater ist im Knast, die Mutter in "der Klappse", der Bruder auf der Flucht, sie selbst haust mit ihrer Schwester Jeanette (Britta Hammelstein) beim Kriminellen Ronald (Antonio Wannek). Kein Wunder, dass Sarah Geborgenheit im Jugendtreff sucht. Als dort Sozialarbeiter Haber tot in der Toilette aufgefunden wird, erzählt Sarah den Kommissaren Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare), sie habe zugeschlagen, weil Haber sie zum Oralverkehr zwingen wollte. "Glaubst du ihr?" fragt Bootz und rollt mit Lannert, der sich als Singlevater zugleich um seine Kinder kümmern muss, den Fall auf: Die renitente Sarah war nicht die einzige, die den Club am Mordabend besuchte. Dessen Finanzier, Kunsthändler Schöllhammer (Patrick von Blume), ist pleite. Und offenbar traf Sarah einen Unbekannten öfter im Hotel. Warum? Regisseur Oliver Kienle machte 2010 mit der wuchtigen Filmschulabschlussarbeit "Bis aufs Blut" auf sich aufmerksam. Sein "Tatort"-Debüt bedient nun die Krimikonventionen, zeichnet aber auch das verstörende Bild einer Gesellschaft, in der Jugend den Glauben an sich aufgegeben hat und geradezu zwangsläufig immer tiefer fällt.

Tragisch und packend. Eine Jugend am Abgrund.

– TV Spielfilm


13. Einsatz für Richy Müller & Felix Klare. Der "Tatort: Happy Birthday, Sarah" bietet eine kurzweilige, ambitionierte Mischung aus Sozialdrama und Krimiunterhaltung. Jungregisseur Oliver Kienle durfte nach seinem Abschlussfilm "Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung" bereits mit seiner zweiten Arbeit eine Folge der ARD-Vorzeige-Reihe in Szene setzen. Frisch, temporeich, musiklastig und gut ausbalanciert ist sein "Tatort"-Debüt, die Story des krimiversierten Autors Wolfgang Stauch ("Unter Verdacht") ist wendungsreich und trägt bis zum Finale. Und die 17jährige Hauptdarstellerin Ruby O. Fee ist eine echte Entdeckung.

"Klaus' Haus" ist ein Jugendhaus an einer der vernachlässigteren Ecken Stuttgarts, in dem man sich um Heranwachsende aus schwierigen sozialen Verhältnissen kümmert. Als einer der dortigen Sozialarbeiter brutal ermordet wird, ermitteln Lannert und Bootz in der privaten Einrichtung, die von dem undurchsichtigen Kunstsammler und Millionenerben Frank Schöllhammer (Patrick von Blume) getragen wird. Schnell stoßen die Schwaben-Cops auf das Sarah Baumbach (Ruby O. Fee), frühreif, aufmüpfig, aus einer kriminellen Familie und emsige Besucherin des Jugendtreffs. Sarah gerät unter Verdacht und legt bald schon ein Geständnis ab. Doch es stellt sich heraus, dass sie noch keine 14 und deshalb strafunmündig ist. Aber ist sie wirklich die Täterin? Oder deckt sie Jemanden? Die Kommissare entdecken, dass Schöllhammer die für das Jugendhaus bestimmten Stiftungsgelder in andere Bahnen lenkt. Und welche Rolle spielen der engagierte Jugendhaus-Leiter Sven Vogel sowie Sarahs Bruder, der wegen anderer Delikte untergetaucht ist? Ein kniffliger Fall für Lannert und Bootz.

Familie und die Sehnsucht von Kindern nach dem guten Leben ist das Thema dieses Krimis, der mehr ist als eine reine Mörderjagd am Neckar. Ein Mädchen sucht Wärme, Anerkennung und Schutz. Ihre zerrüttete Familie kann ihr das nicht geben. Das Mädchen flieht vor ihrer Kindheit, reagiert mit Rotzigkeit und Aggression. Die Musik ist ihr Kokon, die Kopfhörer geben ihr Schutz vor der grauen Wirklichkeit. Oliver Kienle erzählt die Gefühlslage des Mädchens sehr viel über die Musik, die Sarah hört. Und da ist noch eine Familie, die am Ende ist und in der der Vater zweier Kinder um die Aufrechterhaltung der heilen Welt kämpft. Kommissar Bootz, in der letzten "Tatort"-Folge von seiner Frau verlassen, kümmert sich um seinen beiden Kinder, ist dabei als Berufstätiger überfordert, auch diese Kinder suchen – in einer anderen sozialen Wirklichkeit – Liebe und Schutz. Wolfgang Stauch ("Unter Verdacht") erzählt geschickt die private Situation des Kommissars parallel zur Hauptstory weiter.

Früh steht die Täterin fest, nach nicht mal einem Drittel des Krimis gibt es ein Geständnis. Dann die Überraschung: Sie wird erst in ein paar Tagen 14, ist so strafunmündig. Ruby O. Fee, 17 Jahre alt, spielt diese prollig-rotzige Sarah ausdrucksstark, nie wirkt das aufgesetzt oder klischeebehaftet, Regisseur Kienle führt sie behutsam durch die 90 Minuten. Auch in den Szenen ohne Worte vermittelt die junge Mimin viel vom Innenleben ihrer Figur.

Der neue Stuttgart-"Tatort: Happy Birthday, Sarah" um einen ermordeten Sozialarbeiter, ein Stuttgarter Jugendhaus, den Traum einer Heranwachsenden von einem besseren Leben und das Zusammentreffen zweier Welten – der wohlsituierten Stuttgarter Halbhöhe, in der der Mäzen lebt, und dem sozialen Brennpunkt, in dem Sarah aufwächst – ist ein sehenswerter Milieu-Krimi, bietet gute Bilder (Kamera: Jürgen Carle), starke Tempowechsel, ist mal laut und schnell, mal ruhig und intensiv. Lokalen Bezug ins Schwabenländle gibt es nur an einer Stelle – ein netter Spaß, wie der Kampfhund eines der Verdächtigen auf den Befehl "Halöle" reagiert. Und noch ein richtig schöner Satz des Autors Wolfgang Stauch soll hier schon mal verraten werden: "Handy-Ortung ist bei CSI sowas wie die Rolle vorwärts beim Kunstturnen".

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– Volker Bergemeister, tittelbach.tv


13 Jahre? Nein, für eine 13-Jährige hätte man das frühreife Gör Sarah Baumbach (Ruby O. Fee) bestimmt nicht gehalten. Auch sonst ist die schmolllippige Plattenbauprinzessin ihren jungen Jahren weit voraus. Liest Dostojewski, hört auf dem MP3-Spieler CCR und die Rolling Stones. Aber dass die offenbar Hochveranlagte aus schwierigsten Stuttgarter Verhältnissen einen angeblich übergriffigen Sozialarbeiter erst ohnmächtig geschlagen und dann in der Klospülung ersäuft haben will, das mögen ihr die schwäbischen Buddy-Cops Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) wirklich nicht abkaufen. Es passt halt zu perfekt: Mit 13 ist Sarah noch nicht strafmündig – der Mord bliebe ungesühnt. Aber so ein Vorhaben muss nicht nur bei Dostojewski (Stichwort: "Schuld und Sühne"!) scheitern, sondern auch in diesem "Tatort", bei dem der junge Regisseur Oliver Kienle nach einem Drehbuch von Wolfgang Stauch vieles richtig gemacht hat.

Allzu oft kriegt man so was ja nicht mehr präsentiert am Sonntagabend, zur Krimiprimetime im Ersten: einen traditionellen, nicht bemüht experimentellen "Tatort", der trotzdem nicht wie eingeschlafene Füße wirkt. Oliver Kienle, Jahrgang 1982 und verantwortlich für das viel gelobte Kleinkriminellendrama "Bis aufs Blut" (lief 2010 im Kino), findet das richtige Timing, eine stimmige Tonalität und atmosphärische Settings. Alleine damit stellt die SWR-Episode "Happy Birthday, Sarah" viele jüngere "Tatort"-Versuche in der Schatten, einschließlich so mancher trägen Ermittlervolte aus Stuttgart.

Raus aus dem bürgerlichen Mief, rein ins kriminelle Milieu. Seit Sebastian Bootz von seiner Frau getrennt lebt, ist es nicht mehr weit her mit dem „Bitte recht freundlich“-Prinzip der schwäbischen Kriminalpolizisten. Diesmal geht’s grantig bis grimmig über nächtliche Zubringerstraßen auf verlassene Parkhausdecks und vom schmuddeligen Hinterhof weiter ins Stundenhotel. Ein "Tatort“ mit hohen Schauwerten und ohne bemühte Sozialkritik. Auch weil die Schlüsselfiguren auf anregende Weise irritieren. Wer ist diese gerissene Gossenlolita, von Ruby O. Fee fulminant gespielt? Und welche Motive hat ihr Gönner (Patrick von Blume), ein gelangweilter Industriellenerbe, der zugunsten benachteiligter Jugendlicher sein geerbtes Vermögen verprasst und die Problemkiddies auch noch mit seiner erlesenen CD-Sammlung verzückt? "It ain't me, I'm no fortunate son", dröhnt es aus Sarahs Kopfhörern. Ein Glückskind ist sie wahrlich nicht, aber ein Glücksfall ist eindeutig dieser "Tatort".

("Tatort: Happy Birthday, Sarah", Sonntag, 1. Dezember, 20.15 Uhr)

– Jasmin Herzog, Teleschau / Yahoo TV Kritik


Die Zahl "13" ist im Fall des Stuttgarter "Tatorts" kein schlechtes Omen. Auch in ihrer neusten Ermittlung zeigt sich, dass das Team Lannert & Bootz herausragend gut funktioniert. Es stimmt einfach in Stuttgart, und die Chemie zwischen Richy Müller und Felix Klare trägt entscheidend dazu bei, dass man sich als Zuschauer immer wieder aufs Neue wohlfühlt. In "Happy Birthday, Sarah" stiehlt den beiden Kommissaren aber eine Schauspielerin die Schau: Ruby O. Fee als Titelfigur Sarah Baumbach ist nicht nur höchst authentisch, sondern schlüpft in diese nicht einfache Rolle auch, als würde sie dies jeden Tag tun. Es ist unglaublich, wie gut Ruby O. Fee hier abliefert.
Der Fall, von Regisseur Oliver Kienle frisch und modern inszeniert, ist dabei genauso sehenswert, wie die Schauspielerleistungen. Es wurde lediglich vorhersehbar, sodass das Krimivergnügen zumindest ein Stück weit getrübt wird. Im Endeffekt macht das aber gar nichts, "Happy Birthday, Sarah" ist gewohnt sehenswertes Fernsehen aus der "Tatort"-Schmiede geworden. Vor allem gefällt, wie Drehbuchautor Wolfgang Stauch an die Trennungsgeschichte von Kollege Bootz heranging und somit die dramatischen Entwicklungen des letztes „Tatorts“ ein Stück weit entschärft hat. Wer diesen beiden Ermittlern verfallen ist, der wird sich auch von diesem neusten Fall überzeugt zeigen.

– Thomas Ays, Moviesection.de


Mann ermordet, Jugendliche gesteht, Akte zu. Ach, wenn das Leben im Speziellen und im Tatort  insbesondere doch so einfach wäre (ARD, Sonntag 20.15 Uhr). Ja dann... Ist es aber nicht. Das Leben sowieso nicht, und der Krimi auch nicht, denn der dauert 90 Minuten und die wollen am besten sinnvoll gefüllt werden.

Also machen sich die Kommissare Lannert und Bootz (Richy Müller, Felix Klare) auf die Suche nach den Hintergründen. Der Mord an einem Heimmitarbeiter, den die 13jährige Sarah (Ruby O. Fee) freimütig gestanden hat, gilt es aufzuklären. Denn die vermeintliche – oder tatsächliche? – Täterin ist strafunmündig und muss nach dem Verhör wieder ins Assi-Milieu entlassen werden.

Dabei machen die Stuttgarter Cops eine gewohnt gute Figur, werden aber (fast) von der minderjährigen Titelfigur an die Wand gespielt. Absolut sehenswert wie die Berliner Nachwuchs-Schauspielerin überzeugend zwischen Lolita und verpfuschtem Leben aufspielt. Deswegen auch der Tipp: Unbedingt einschalten. Damit es dann nach 90 Minuten doch noch heißt, Akte zu.

– Matrin Geiger, Berliner Kurier


Mit einer authentischen Skizzierung der heutigen Jugend tun sich die „Tatort“-Autoren oft schwer: Häufig reduzieren sie die U18-Generation im Film auf plumpe Stereotypen und nötigen sie zu pseudocoolen Sprüchen und realitätsfernem Gehabe. Nach in dieser Hinsicht erschreckend weltfremden Folgen wie „Tatort: Der Wald steht schwarz und schweiget“ (Mai 2012) oder „Tatort: Dinge, die noch zu tun sind“ (September 2012) bewies zuletzt Regisseur und Drehbuchautor Stephan Wagner mit der von Presse und Publikum gleichermaßen gelobten Berliner Folge „Gegen den Kopf“, dass kriminelle Teenager im „Tatort“ durchaus auch realitätsnah porträtiert werden können. Dem 31 Jahre jungen Regisseur Oliver Kienle („Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung“) und dem mehrfach krimierprobten Drehbuchautor Wolfgang Stauch („Tatort: Die schöne Mona ist tot“) gelingt dies ebenfalls: Im „Tatort: Happy Birthday, Sarah“ gesteht eine 13-Jährige ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat, und bringt die Stuttgarter Kommissare mit ihrer Sturheit zur Verzweiflung. Das gestaltet sich über weite Strecken unterhaltsam, doch für einen echten Klassekrimi fehlt es der nach bewährtem Sonntagabendschema ablaufenden Geschichte an mehr Mut und frischen Ideen.

Mitten in einem sozialen Brennpunkt steht der Stuttgarter Jugendtreff „Klaus‘ Haus“, der von dem reichen Kunsthändler Frank Schöllhammer (Patrick von Blume) finanziell gefördert und am Leben erhalten wird. Eines Morgens wird aber der Sozialarbeiter Andreas Haber (Nikolaj Alexander Brucker) ertrunken in der Toilette aufgefunden, weil sein Mörder ihn bewusstlos geschlagen und seinen Kopf anschließend in die Schüssel gedrückt hat. Unter Verdacht gerät die frühreife Sarah Baumbach (Ruby O. Fee), die aus einer kriminellen Familie stammt und häufig in dem Jugendtreff verkehrte. Als die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) die aufmüpfige Jugendliche mit den Indizien konfrontieren, gesteht sie prompt die Tat: Haber habe sie am Abend zuvor sexuell bedrängt. Da Sarah noch nicht strafmündig ist, müssen Lannert und Bootz sie wieder auf freien Fuß setzen, doch sie hegen ohnehin Zweifel an ihrem Geständnis. Deckt Sarah den wahren Täter? Ins Visier der Ermittler gerät neben Kunsthändler Schöllhammer auch Einrichtungsleiter Sven Vogel (Tobias Oertel), der offenbar ein Auge auf den vollbusigen Teenager geworfen hat...

Keine Frage: Der Star im 888. „Tatort“ ist die in Costa Rica geborene und in Brasilien aufgewachsene Ruby O. Fee („Bibi & Tina – Der Film“, „Löwenzahn - Das Kinoabenteuer“), der Regisseur Oliver Kienle bei den Dreharbeiten viel Raum zur Eigeninterpretation ihrer Hauptfigur ließ. Das spürt man: Fee bringt die junge Rebellin, die sich von Musik der Rolling Stones und Rapper Eminem berieseln lässt, charismatisch und glaubwürdig auf die Mattscheibe, scheint nie eine Rolle, sondern einfach nur sich selbst zu spielen. Trotz der zahlreichen männlichen Verehrer ist ihre Figur aber nicht als verführerische Lolita angelegt, sondern erinnert eher an das gebeutelte „Wegwerfmädchen“ Larissa Pantschuk (Emilia Schüle), das 2012 im gleichnamigen Hannoveraner „Tatort“ zwischen alle Fronten geriet. Dass Sarah kurz vor der Strafmündigkeit steht, bietet auf der Zielgeraden die Möglichkeit für einen spannenden Countdown: Am Vorabend ihres 14. Geburtstags (der Krimititel deutet es an) bleiben Sarah nur wenige Minuten für das Begehen einer Straftat und Lannert und Bootz wollen die Jugendliche vor einer Dummheit bewahren.

So spannend wie auf der Zielgeraden geht es aber nicht immer zu: Im vorherigen Stuttgarter „Tatort: Spiel auf Zeit“, in dem Polizistengattin Julia Bootz (Maja Schöne) ihren Mann verließ und damit gehörig Tempo aus der Kriminalgeschichte nahm, banden die Filmemacher dem Krimi einen Klotz ans Bein, der sich noch spürbar auf den Nachfolger auswirkt. Auch „Happy Birthday, Sarah“ wird durch den Bootzschen Familienkitsch immer wieder ausgebremst: Diesmal nervt vor allem der Sohnemann, der das Diensthandy seines in Sachen Kinderhüten gänzlich unerprobten Vaters spontan in der Badewanne versenkt und dem erfolgreichen Papa bei einer Festnahme vom Streifenwagen aus frenetisch zujubelt. Ähnlich wie im Hannoveraner „Tatort“ mit der alleinerziehenden LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die ihren Kleinen seit dem Auszug von Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) allein durchbringen muss, erweisen sich auch die konstruiert wirkenden Familienszenen in der provisorisch eingerichteten Wohnung von Neu-Single Bootz als pure Spannungskiller. Ansonsten bildet nicht nur das frisch gestrichene Kinderzimmer eine auffallend bunte Kulisse: Große Teile des Krimis spielen vor grellen Graffitibildern des poppig dekorierten Jugendclubs, in den sich Lannert vorübergehend undercover als Streetworker einschleust.

Während dieser Handlungsstrang eher halbherzig ausgearbeitet wird, sind die Szenen mit Sarahs Schwester Jeanette (Britta Hammelstein) und ihrem rabiaten Lover Ronald (Antonio Wannek) rundum gelungen: Der dreimalige „Tatort“-Autor Wolfgang Stauch liefert knackige Dialoge und skizziert das Milieu der Stuttgarter Unterschicht authentisch und ungeschönt, während sich Regisseur Kienle jederzeit auf seine Besetzung verlassen kann. Für Stuttgarter Verhältnisse – das „Ländle“ ist nun mal nicht Münster – fällt der „Tatort“ zudem überraschend humorvoll aus: Lannert („Versuchen Sie’s mal mit der Wahrheit, dann kann man sich besser an die Details erinnern!“) übt sich in lässigen One-Linern, und der wild tätowierte Ex-Knacki Ronald („Na, zurück in der Hölle des Löwen?“) stiehlt in den emotionalen Streitgesprächen mit seinen eben nur fast korrekten Phrasen mehrere Szenen. Eher unfreiwillig amüsant ist – zumindest für das ortskundige schwäbische Publikum – das Abendessen von Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) im piekfeinen Restaurant des Stuttgarter Fernsehturms: Die Touristenattraktion wurde kurz nach Abschluss der Dreharbeiten wegen Brandschutzgefahr für die Öffentlichkeit geschlossen.

Fazit: „Happy Birthday, Sarah“ ist ein unterhaltsamer und mit subtilem Humor gespickter „Tatort“, dem mehr Mut zum Unkonventionellen allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte.

– Lars-Christian Daniels, filmstarts.de


Das Stuttgarter „Tatort“-Team ermittelt in „Happy Birthday, Sarah“ an diesem Sonntag in einem sozial schwierigen Milieu. Die Staatsanwältin geht derweil zum Essen auf den - inzwischen geschlossenen - Fernsehturm.

Stuttgart - Den Kopf in der Kloschüssel, ertrunken durch permanentes Spülen: Fast so schnell wie die Ursache für den Tod eines Sozialarbeiters feststeht, haben die beiden Stuttgarter „Tatort“-Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ein Geständnis. Problem Nummer eins: Sie glauben Sarah Baumbach nicht. Problem Nummer zwei: Das Mädchen ist erst 13 Jahre alt - und damit noch nicht strafmündig. Den Ermittlern helfen will die rotzfreche Jugendliche nicht, Hilfe annehmen aber auch nicht. Die ARD zeigt „Happy Birthday, Sarah“ am Sonntag (20.15 Uhr).

Bei seinem „Tatort“-Debüt schickt Regisseur Oliver Kienle Lannert und Bootz in ein sozial schwieriges Milieu. Provozierend fragt Jugendhausleiter Sven Vogel: „Sie arbeiten an den Toten, ich an den Lebenden - was ist wichtiger?“ In Sarahs Familie hat jeder einzelne mehr auf dem Kerbholz als die Sippe Mitglieder. Schon im Kindesalter hat sie selbst es mit der Polizei zu tun. In der versifften Wohnung herrschen Gewalt und Grammatikprobleme. Mitunter wirkt es so, als habe sich eine Klischeefamilie aus den Reality-Formaten des Privatfernsehens ins Öffentlich-Rechtliche verlaufen.

Sarah (gespielt von Ruby O. Fee, Jahrgang 1996) ist das alles ziemlich egal, sie steckt ihre Kopfhörer ins Ohr und schottet sich ab. Gut von Kienle inszeniert dröhnt auch für den Zuschauer die Musik immer lauter. Gesprochene Worte sind nicht mehr zu verstehen. Eine eigene Welt, in der sich der Teenager auskennt. „Sarah wird um Mitternacht 14. Und bis dahin hat sie noch einen Schuss frei“, stellt Lannert irgendwann plötzlich fest, als von dem Mädchen jede Spur fehlt. Fünf vor zwölf im wortwörtlichen Sinn.

Staatsanwältin geht ins Restaurant auf dem Fernsehturm

Auch wenn es nicht immer ganz so eilig ist, entwickelt sich in dieser Folge des sonst schon mal behäbig und piefig daherkommenden Stuttgart-„Tatorts“ tatsächlich hin und wieder Spannung. Für ruhigere, nachdenklichere Momente sorgt Bootz' Privatleben. Nach der Trennung von seiner Frau muss er den Umzug organisieren. Zudem jongliert er mit der Teilzeit-Rolle als alleinerziehender Vater und seinem Job, der ihm auch mal spontane Nachteinsätze abverlangt.

Ebenso bietet dieser „Tatort“ komische Momente wie einen Koloss von Hund, der auf den Namen „Rambo“ hört, aber ein Weibchen ist, und jeden anfällt, der ihn nicht rechtzeitig mit einem „Hallöle“ zum Männchenmachen animiert. Diese Augenzwinker-Note mag nicht zuletzt an Autor Wolfgang Stauch liegen, der auch das Drehbuch für den von einigen Kritikern als zu klamaukig beanstandeten Münsteraner „Tatort: Das Wunder von Wolbeck“ geschrieben hat. Die Sendung hatten vor gut einem Jahr 12,11 Millionen Zuschauer gesehen - eine Hausnummer, von der der Südwestrundfunk (SWR) mit seinem immer besser harmonierenden Duo Lannert/Bootz bislang nur träumen kann.

Wohl unfreiwillig komisch ist dagegen, dass sich Staatsanwältin Emilia Álvarez zum Ermitteln mit einem alten Bekannten ausgerechnet im Restaurant auf dem Stuttgarter Fernsehturm trifft. Er ist zwar der weltweit erste und eine Art Wahrzeichen der Stadt. Im echten Leben hatte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) den Turm aber im März dieses Jahres - und damit kurz nach Ende der Dreharbeiten - aus Brandschutzgründen für den Besucherverkehr schließen lassen.

– SIR / Stuttgarter Nachrichten / dpa