Interview zur neuen Reihe „Emma nach Mitternacht“

Redaktionsgespräch der Radiosendung ' Emma nach Mitternacht'© SWR / Johannes Krieg

Anlässlich der Uraufführung von „Emma nach Mitternacht“ führte „daserste.de“ ein Interview mit Autor Wolfgang Stauch: 

In Deutschland ist psychologische Beratung im Radio kein allzu verbreitetes Format, wie kamen Sie darauf, dass Emma eine Radiopsychologin sein sollte?

Die Radiopsychologin war nicht meine Idee, sondern die der Redaktion, von Ulrich Herrmann, mit ihm zusammen habe ich dann auch das Konzept der Reihe entwickelt. Und immerhin haben wir in Deutschland „Domian“ – gerade neulich mit einer Emma-reifen Anruferin, die, während sie im Radio zu hören war, scheinbar von ihrem Freund verprügelt wurde. „Die Domian-Redaktion informierte die Polizei“, heißt es in der Presse dazu. Emma hätte in diesem Fall alles stehen und liegen lassen und wäre selbst zu dieser Frau gefahren.

Sie haben die Figur für Katja Riemann entworfen. Was war Ihnen dabei wichtig, wie sehen Sie die Figur?

Zum einen hoffe ich, dass ich ihr die Rolle, die Dialoge, wie man so schön sagt, auf den Leib geschrieben habe – zum Beispiel diese Weltreise-Nummer, ich könnte mir zumindest vorstellen (lacht), dass sie persönlich in Afrika lieber in Hütten und Hängematten als in Fünf-Sterne-Hotels schläft, nah an den Menschen. Zum anderen kann man Emma nicht ohne „Bloch“ sehen, dem Vorgängerformat. Der war der Fels in der Brandung, der absolute Fachmann, ganz ohne Zweifel. Wir wollten eine beweglichere Figur, auch als Kontrast zu Bloch, eine, die an der reinen Lehre zweifelt, heute das sagt und morgen vielleicht was ganz anderes, im Grunde wollten wir eine anarchische Figur, die sich auch mal eine blutige Stirn holt, weil sie mit dem Kopf durch die Wand will. Im Konzept der Reihe wird Emma zum Beispiel so zitiert: „Warum halten es alle immer für die einzige Lösung, zu einer verdrängten Wahrheit vorzudringen? Wenn einem brutal schwindlig ist, sagst du ja auch nicht, mach mal die Augen auf, wenn‘s vor ihm dreihundert Meter runter geht. Du sagst ihm, lass schön die Augen zu, dann nimmst du ihn an die Hand und erzählst ihm was Nettes.“ Ich denke, es gibt nicht so wahnsinnig viele Therapeutinnen, die, wie Emma, zu einem Patienten schon mal „Das müssen Sie verdrängen!“ gesagt haben.

Emma wirkt nicht wie eine Analytikerin mit Methodik. Gab es eine, die für Sie bei der Entwicklung eine Rolle spielte? Wie nah bzw. entfernt von realer Psychotherapie wollten Sie sein?

Ich hatte unseren Fachberater, den Psychiater Dr. Pablo Hagemeyer, ganz zu Beginn der Stoffentwicklung gefragt: „Was ist denn heutzutage moderne Psychotherapie?“ Seine Antwort war relativ einfach: „Therapie ist heutzutage alles, was hilft.“ Heißt wohl auch, es gibt Therapeuten, die sich nicht mehr an die reinen Lehren halten, es gibt Methoden, die man nutzen, aber auch mischen kann, Ansätze, an die man glauben kann oder nicht. Natürlich ist das hier, in der Fiktion, überhöht, grenzwertig, vielleicht auch mal übergrenzwertig. Vermutlich würde der „Verband der Psychotherapeuten e.V.“, falls es sowas gibt, Emma die Lizenz entziehen – wenn sie denn eine hätte. Vielleicht hat sie ja sogar eine. Und natürlich habe ich als Autor die Macht zu behaupten, dass „Emmas Methoden“ helfen – sie helfen ja auch nicht immer, wir zeigen sie ja nicht als Wunderheilerin. Das heißt also nicht, dass man das zu Hause nachspielen sollte mit Freunden, die an einer neurotischen oder psychotischen Erkrankung leiden (lacht), da würde ich es persönlich doch ganz konservativ vorziehen, mich an die Bloch‘sche Methodik zu halten.

Würden Sie eine Antwort darauf geben, ob Emma wirklich Psychotherapeutin ist, oder soll das eine Frage sein, die wir Zuschauer uns im Hinblick auf das Vexierspiel mit Emmas Identität stellen?

Das muss ja jetzt mit „Achtung, Spoiler!“ anfangen, wenn ich das wirklich beantworten soll. Nein, die Frage ist doch in der Tat erstmal die: Ist Emma Emma? Und wenn Emma nicht Emma ist, wer ist sie dann? Und wer ist dann Emma, wenn Emma nicht Emma ist? Die Person, die wir für Emma halten, scheint eine Frau zu sein, die ihre Lebenserfahrung, die Erfahrung mit vielen Kulturen, ihren Menschenverstand, ihr Fachwissen, das sie ja woher auch immer offenbar hat, und dazu eine Prise Phantasie in einen Topf wirft und daraus ihre ganz spezielle Art von Therapie-Suppe köchelt. Kein Rezept aus dem Kochbuch, immer mal wieder mit anderen Zutaten. Und da sie außerdem nicht gerade an mangelndem Selbstbewusstsein leidet, stellt sie sich selbst die Frage gar nicht, ob sie mit dem, was sie da zusammenbraut, überhaupt die 'Lizenz zum Therapieren' hat. Was sie aber ganz sicher denkt, ist, dass auch die zertifizierten Diplom-Therapeuten nicht immer, eins, zwei, drei, aus jedem psychisch Kranken einen psychisch Gesunden machen.

Die beiden Filme sind in ihrem Charakter ziemlich unterschiedlich, gehört das zum Konzept der Reihe?

Ein klares Ja – und ein kleines Nein. Zum Konzept der Reihe gehört, zumindest bisher, dass wir formal keine Erwartungen erfüllen wollen, so, wie Emma keine Erwartungen erfüllt; wie sie uns immer wieder überrascht, sollte auch die Form, die Farbe des Genres, überraschen. „Der Wolf“ war ja fast schon Krimi, Thriller, wir wollten perspektivisch keine neue Krimireihe, bei „Frau Hölle“ schon ein Stück weit vom Krimi weg. Ich hätte den Übergang, bis sich die Zuschauer an das Format gewöhnt hätten, allerdings gerne ein bisschen fließender gestaltet. Katja Riemann wollte ihn abrupter, gleich mehr über Emma erzählen und weniger „ermitteln“, also haben wir uns irgendwo in der Mitte getroffen – und Torsten C. Fischer, der Regie geführt hat, hat die verschiedenen Tonarten auch ganz ausgezeichnet getroffen, finde ich. Folge zwei ist natürlich auch weniger abgeschlossen, diverse lose Fäden müssen in den nächsten Folgen weitergesponnen werden, im Nachhinein betrachtet vielleicht der eine oder andere Faden zu viel.

Die Episodentitel spielen mit Märchentiteln, ist das als Anspielung auf die tiefenpsychologische Dimension von Märchen gemeint?

Genau, man kann es sogar noch konkreter benennen – eine gute alte Freundin von mir, Marcella Berger, hat vor Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Märchen lösen Lebenskrisen – Tiefenpsychologische Zugänge zur Märchenwelt.“ Daher kam die Idee.

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